2,16 Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der in den Lilien weidet.
Was ist Liebe? Liebe ist Besitz und Hingabe. Liebe heißt, sich verlieren und den anderen gewinnen. Sulamith ist sich selbst ferner als dem Geliebten. Der Apostel Paulus drückt es so aus: <Die Liebe> „sucht nicht das Ihre“ (1Korinther 13,5). Ist eine solche Liebe nicht gefährlich? Braucht es nicht mehr Distanz, einen Sicherheitsabstand, um nicht verletzt zu werden?
Die Versuchung liegt nahe, „Beziehungen“ auf hohem Niveau zu führen und trotzdem auf Abstand zu bleiben. Man kann einander umsorgen und füreinander da sein, ohne die eigene Seele zu öffnen und sich selbst zu verschenken. Es ist möglich, mit „angezogener Handbremse“ zu lieben und Vorsicht (als Mutter der Porzellankiste) zum höchsten, unausgesprochenen Prinzip zu erklären. Das ist alles möglich, aber es ist keine Liebe, sondern Schmerzvermeidung. Wer sich nicht verschenken kann, kann nicht lieben. Wo Vertrauen und Hingabe fehlen, entsteht keine tiefe Beziehung. Wer sich als Folge von (sexuellem oder emotionalem) Missbrauch dazu entschließt, keinen Menschen mehr richtig nah an sich heranzulassen1), wird auch keine leidenschaftliche Beziehung entwickeln. Im besten Fall übernehmen gemeinsame Aktivitäten und Hobbys den Platz der Liebe, im schlimmsten Fall leben die Ehepartner nebeneinander her.
Die Zeit der Freundschaft und der Verlobung ist am besten dafür geeignet, um herauszufinden, ob der zukünftige Ehepartner bereit ist, sich zu öffnen und ganz in die Beziehung zu investieren. Heirate niemanden, der Geheimnisse hat, unaufrichtig ist, merkwürdig kühl-distanziert wirkt, dominierendes Verhalten an den Tag legt oder sich nicht öffnen will2).
Sulamith ist im Hohelied die Lilie (Hohelied 2,1-2) und Salomo ist es, der in den Lilien weidet. Mit diesem Bild unterstreicht sie ihre Hingabe an ihn. Er darf sie pflücken und sich an ihr weiden. Er ist der Hirsch, von dem sie, die Lilie, verzehrt werden will. Sie hat ihn nicht zum Fressen gern, sondern zum Gefressen-Werden! Durch Sulamiths Venen fließt pure, sinnliche Erregung. Sie will mit diesem Salomo eins werden.
Und genau hier ist Schluss! Es mangelt Sulamith nicht an Begeisterung und Lust, aber sie weiß, dass die Erfüllung ihrer Sehnsüchte noch warten muss. Noch sind sie nicht verheiratet. Noch gefällt es der Liebe nicht, aufgestört zu werden.
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