2,17a Wenn der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen, wende dich weg, mein Geliebter,

Es wird Abend, der Tag kühlt ab und die Schatten fliehen, weil die Sonne untergeht (vgl. Hiob 40,22; Jeremia 6,4). Es wird Zeit, Abschied voneinander zu nehmen.
Ich habe mich für die Übersetzung wende dich weg entschieden1), obwohl manche Bibelübersetzungen den Text mit „wende dich her2)“ wiedergeben. Folgende drei Gründe sind für mich ausschlaggebend:
(1) Die zugrunde liegende hebräische Form des „wende dich weg/her“ kommt im Alten Testament noch vier Mal in drei Versen vor. An keiner Stelle steht sie für ein vertrautes Aufeinander-Zugehen, sondern immer für eine Art von „Weggehen“. In 1Samuel 22,18 (zwei Vorkommnisse) tritt Doëg vor, um die Priester von Nob zu töten3). In 2Samuel 18,30 wird „tritt zur Seite“ übersetzt und Ahimaaz, der Bote an David, tritt aus dem Gesichtsfeld des Königs. Zuletzt fordert Jehu die Boten Jorams auf: „wende um“ (2Könige 9,18-19). Eine Übersetzung mit „wende dich her“ ist also mindestens fragwürdig4).
(2) Meine Übersetzung entspricht besser der Parallelstelle in Hohelied 8,14. Dort erinnert sich Salomo an die Zeit ihrer ersten Liebe und sehnt sich danach, zu hören, wie sie ihn wegschickt. Allerdings benutzt Salomo in Hohelied 8,14 nicht die Formulierung „wende dich weg, mein Geliebter“ sondern „enteile, mein Geliebter“. Dass Salomo Sulamiths Worte aus Hohelied 2,17 mit „enteile“ wiedergibt, stützt meine These, dass es hier heißen muss wende dich weg, weil „enteilen“ kaum ein Synonym für ein trautes Aufeinander-Zugehen sein kann.
(3) Die nächste Szene im Hohelied (Hohelied 3,1ff), also das Ergebnis ihrer Aufforderung, ist von Trennung gekennzeichnet. Sulamith liegt allein in ihrem Bett und Salomo ist nicht nur weggegangen, sondern sie weiß noch nicht einmal wohin (und er hat kein Handy!).
Hier wird ein Pärchen skizziert, das weiß, wann es Zeit ist, sich zu trennen. Sie sind noch nicht verheiratet und Salomo lässt sich wegschicken. Sie gehören zusammen, aber vor der Hochzeitsnacht gibt es kein Ausprobieren.
Eine Freundschaft soll in den Worten des Apostels Paulus nicht in „lustvoller Leidenschaft wie bei den Heiden“ (1Thessalonicher 4,3-5) geführt werden, das heißt nicht in einer vom Gefühl der Lust dominierten Form wie es eine heidnische Jugendkultur vormacht. Christen leben heilig(er), weil Gott heilig ist (1Petrus 1,15). Und deshalb darf körperliche Nähe nicht zu sexuellen Entgleisungen führen. Petting (Hesekiel 23,8), das Aufdecken des Schambereichs (Habakuk 2,15-16; 1Mose 9,18-27), Beischlaf (2Mose 22,15) oder Nötigung bzw. Vergewaltigung (5Mose 22,25-27) sind absolut tabu. Wir dürfen nie vergessen: Gott hat uns „nicht zur Unreinheit berufen, sondern in Heiligung“ (1Thessalonicher 4,7). Wir sind lebendige Briefe eines heiligen Gottes an eine unheilige Welt, die sich entschieden hat, den Spaß und die Verantwortungslosigkeit anzubeten. Wenn wir als Christen in dieses Horn stoßen und genauso leben, verlieren wir nicht nur Gottes Segen5), sondern auch unsere Berufung. Lasst uns doch die „unfruchtbaren Werke der Finsternis“ bloßstellen (Epheser 5,11) aber nicht nachmachen!
Die Zeit vor der Ehe soll von Sinnlichkeit und Schutz, Begehren und Warten geprägt sein. Es ist der Mann, der sich wegschicken lässt, und es ist die Frau, die ihn wegschickt. Vor dem Hintergrund bewusster körperlicher Distanz wachsen zwei Seelen zusammen und lernen einander kennen.
Ein Tipp an verliebte Jungs: Heirate eine Frau, die dich „nicht ranlässt“ und dir dabei hilft, dein überschäumendes Testosteron in den Griff zu bekommen. Du suchst eine „Gehilfin“, eine Frau, die dir beisteht, dein Leben zu meistern. Wenn sie dich in dieser kritischen Phase unterstützt, und sei es durch ein klar gesetztes Stopp-Schild, dann zeigt sie damit, dass sie Gott mehr liebt als dich und dir mehr geben will, als jede Hure dir geben kann. Sie will nicht dein Betthupferl sein, sondern deine Partnerin, der es ernst ist, zusammen mit dir das zu leben, was der Herr Jesus so beschreibt: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ (Matthäus 6,33). Verliere dein Herz an eine Frau, die Gott mehr fürchtet als dein Unverständnis (vgl. Sprüche 31,30)!
Ein Tipp an verliebte Mädchen: Gott hat es so eingerichtet, dass die Erregungskurven von Männern und Frauen unterschiedlich sind. Du bist noch in der Lage, klar zu denken, wenn dein Freund schon lange „kein Blut mehr im Hirn hat“, sondern von seinen Emotionen davongetragen wird. Nutze diese Chance! Begreife dich als die Starke, die in solchen Momenten die Schwäche deines Freundes ausgleicht. Wenn er zu weit geht, dann sei hart und verabschiede ihn mit den Worten: „Ich will einen Mann und keine Memme! Ich will einen Partner, der mich respektiert und in Gottes Sinn vor Sünde schützt, keinen wilden Stier, der mich bespringt!“6). Vergiss bitte Folgendes nicht: Wenn dein Freund es in der Verlobungszeit nicht lernt, sich zu beherrschen, dann hast du in der Ehe mit ihm einen Mann, der dich verlassen wird, wenn er sich in eine andere verliebt7). Respekt und Sicherheit gehören zur Standard-ausstattung einer Salomo-Sulamith-Ehe, nicht zur Sonderedition für die Extra-Heiligen! Du entscheidest über die Qualität deiner Ehe für die nächsten 50 Jahre, wenn du zu der Frau wirst, deren Charakterstärke dein Mann noch zur Silberhochzeit bewundert (vgl. Hohelied 8,14).
Sulamith weist, indem sie Salomo wegschickt, keine emotionale Störung auf. Sie will von ihm gefressen werden, aber eben erst in der Hochzeitsnacht. Und folgt man dem Erzählstrang, dann hat sich das Warten gelohnt. Vor der Ehe erlernen Verliebte den Respekt und die Selbstbeherrschung, die sie nach der Hochzeit brauchen, um einander in der Sexualität und im Streit richtig zu begegnen (vgl. Abschnitt III und V). Es sind diese tiefen Pfähle der Verantwortlichkeit, die man einrammen muss, bevor man intim wird und dem Feuer der Liebe freien Lauf lässt.
Ein Hinweis an alle Frauen: Ihr seid für eine Beziehung von allergrößter Wichtigkeit! Wenn ihr Sünde nicht ertragt, sondern die Werke der Finsternis bloßstellt (Epheser 5,11) und sie abwehrt, werdet ihr für euren Mann zu der Hilfe, die er braucht. Eine Frau, die 1Petrus 3,1 so versteht, dass sie ihren Mann nie korrigieren darf, weil sie sich ja „unterordnen“ muss, wird sich nicht zu einem bewundernswerten Gegenüber entwickeln, sondern langweiliger Eheballast werden. Natürlich will Gott nicht, dass Frauen zickig und nörglerisch jeden Fehler des Ehemanns ans Licht zerren, aber eine Gehilfin (1Mose 2,20) offenbart ihre wahren Qualitäten gerade in den Zeiten, in denen Hilfe benötigt wird.

2,17b gleich einer Gazelle oder einem jungen Hirsch auf den zerklüfteten8) Bergen!

Wenn Sulamith ihren Geliebten genauso beschreibt wie in Hohelied 2,9, dann bringt sie damit ihre Wertschätzung zum Ausdruck. Sie schickt ihn weg, aber er verliert in ihren Augen nicht an Wert. Er bleibt ihr junger Hirsch, den sie bewundert und liebt.
Kein junger Mann, der warten kann und damit zeigt, dass er nicht ein Opfer seiner Hormone ist, sondern Verantwortung für seine zukünftige Frau übernimmt, verliert die Wertschätzung seiner Geliebten. Ein Mann dagegen, der nicht warten kann, der respektlos und selbstsüchtig mit seiner zukünftigen Frau umgeht, verdient keine Anerkennung.
Ein Tipp an verliebte Mädchen: Heirate keinen Jungen, der dich bedrängt und von dir Sex will, wenn du dich nach zärtlichen Worten, einem Spaziergang oder einem Liebesbrief sehnst. Ein Junge, der ichsüchtig „seinen Spaß“ will, sucht nicht dich, sondern nur deinen Körper. Er betrachtet dich als Trophäe, nicht als Persönlichkeit. Wer vor der Ehe keine Verantwortung für das in seinen Augen liebste Wesen übernehmen kann, wird es auch in der Ehe nicht tun! Mach dir bitte nichts vor. Ein Mann, der rücksichtslos Gottes Gedanken zur Sexualität ignoriert, wird auch in anderen Bereichen seines Lebens tun, was er will (oder wozu ihn seine Lust treibt).
Bitte begehe nicht den Fehler, den viele Frauen vor dir begangen haben, und denke: „Er wird sich schon ändern, wenn ich ihn erst einmal geheiratet habe!“ Nein, er wird sich nicht ändern! Wandert seine Hand unter deine Bluse, dann gib ihm klar zu verstehen, dass er sich zwischen dir und seinen Hormonen entscheiden muss. Kann er sich nicht beherrschen, dann mach Schluss. Hilf ihm, der Mann zu werden, den Gott sich wünscht. Lest gemeinsam im Diskussionsforum im Anhang die Antwort auf die Frage: „Wie soll man eine Verlobungszeit gestalten, damit man, die Liebe nicht aufweckt‘?“ und entscheidet euch für eine geheiligte Beziehung9).
Und wenn ihr schon zu weit gegangen seid? Wenn ihr die Tipps aus dem Hohelied gern ernst nehmen würdet, aber die Liebe schon aufgeweckt ist? Dann schau dir im Diskussionsforum die Frage: „Es ist irgendwie dumm gelaufen, aber wir haben schon vor der Ehe miteinander geschlafen. Hast du ein paar Tipps für uns?“ an. Es ist nie zu spät, eine Beziehung mit Gottes Hilfe richtig zu gestalten. Ich weiß es aus persönlicher Erfahrung!
Noch ein Wort an alle Frauen: Männer sind Augenwesen und als solche haben sie es in einer sexualisierten Gesellschaft besonders schwer. Unser Kampf gegen die Nacktheit ist fast aussichtslos. Wir können nicht normal leben, ohne pausenlos in den Medien von weiblichen Reizen attackiert zu werden10). Tut uns einen Gefallen: Macht es uns in eurer Nähe leicht. Der tiefe Ausschnitt einer Bluse, der Minirock oder das ultraenge T-Shirt – all das zieht uns unwillkürlich an. Wenn ihr euch auf diese Weise präsentiert, werden wir euch mit Blicken „auffressen“. Wir werden uns dafür schämen, aber es wird passieren und ihr seid - ganz ehrlich - mitverantwortlich. Ich weiß, dass euch die Mode oft kaum eine Chance lässt, aber wo ihr euch allzu freizügig „präsentiert“, wird unser Appetit geweckt. Und das wollen wir nicht. Wir wollen uns gern für die Frau unseres Herzens aufheben. Bitte helft uns dabei!

1)
Luther 1912; Schlachter 2000: „kehre um“; Elberfelder 1905: „wende dich“.
2)
Luther 1984; Revidierte Elberfelder 1985: „wende dich her“; Gute Nachricht 2000; Neues Leben: „komm zu mir“ (Sehr schade, dass ein nächtliches Stelldichein in den Text hineingelesen wird!).
3)
Seine Bewegung geht also nicht hin zum König, der ihm den Auftrag gibt, sondern weg von ihm auf die Priester zu.
4)
Hier kommt dann meist die Frage, warum Bibelübersetzer sich für diese angeblich falsche Übersetzung entschieden haben. Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht.
5)
Wenn du es wirklich auf eine glückliche Ehe anlegst, dann lass dir zwei Dinge gesagt sein: (1) Du brauchst jedes bisschen Segen, das du kriegen kannst! Lass dir nichts davon entgehen (vgl. Jeremia 5,25)! Der Weg, den du vor dir hast, ist weit und zwei Sünder schaffen es nicht ohne Gottes Beistand. (2) Du hast einen Feind, den Teufel, der es jede Minute darauf anlegen wird, dich und deine Beziehung zu zerstören. Er wird einfach alles (z.B. Lügen, komische Gefühle, Missverständnisse, Zeitgeist, Gruppendruck) gegen dich ins Feld führen, um gottgewollte, wahre Intimität zu zerstören. Wenn du das nicht glaubst, dann hast du eine ganz wesentliche Lektion im geistlichen Leben noch nicht verstanden. Vielleicht bist du nur unwissend, vielleicht aber auch hochmütig, wahrscheinlich schlichtweg ungläubig.
6)
Ich weiß, dass so eine Ansprache heftig und verletzend klingt, aber meine Erfahrung ist, dass Männer, die einmal so deutlich „eins auf die Finger“ bekommen haben, zutiefst froh sind und sich danach über die Maßen anstrengen, den Fehler nicht zu wiederholen.
7)
Und auch wenn Männer das ungern zugeben, genau das kommt vor. Männer treffen im Laufe ihres Lebens auf Frauen, zu denen sie sich für kurze Zeit mehr hingezogen fühlen als zu ihrer Ehefrau. Männer müssen lernen, zu solchen Versuchungen „nein“ zu sagen. Unbeherrschte Männer sind dabei klar im Nachteil und werden nur allzu leicht Opfer ihrer Schwäche (vgl. Sprüche 25,28).
8)
Wörtlich: Die Berge von „bater“. Der Begriff „bater“ kann (1) für „Gewürz“ stehen, wäre die Kurzform eines aus dem Sanskrit abgeleiteten Begriffs und stünde parallel zu den „Balsambergen“ in Hohelied 8,14). Alternativ kann (2) „bater“ mit zerklüftet übersetzt werden (s. o.) oder (3) für einen Ort südwestlich von Jerusalem stehen.
10)
Installiere auf alle Fälle ein Internetprogramm, das nacktes Fleisch auf dem Bildschirm wegblockt (z.B. http://www1.k9webprotection.com/) und lass es von einem Freund „scharf“ stellen.