2,4a Er hat mich in das Haus des Weines geführt,

Der Wein ist ein weiteres Bild für sinnliche Lust (Hohelied 1,2.4; 7,10). Wenn Sulamith ihre Beziehung als Haus des Weines bezeichnet, dann deshalb, weil sie ihre Ehe als durch und durch genussvolle Erfahrung erlebt. Wo der Wein fließt, verschwinden die Sorgen, da wird gelacht, da entspannt man sich und nascht vom Besten des Lebens1).
Das Haus des Weines ist Gottes Idealvorstellung von Ehe: ein Ort purer Freude. Wie in der Widmung kurz angerissen, weiß ich, dass Ehen durch sehr schwere Zeiten gehen können. Jeder kann an einen Punkt kommen, an dem es keine Hoffnung mehr gibt. In solchen Momenten erscheint die eigene Ehe nur noch als schwere Last und zähes Einerlei ohne Aussicht auf Besserung. Der Partner ist alles andere als ein liebender Salomo oder eine sinnliche Sulamith. Trennung scheint der (einzig) vernünftige nächste Schritt. Ich war an diesem Punkt und bin allein durch Gottes Eingreifen und Gnade davor bewahrt worden, meine Frau zu verlassen.
Heute schaue ich mit Horror auf diese Monate zurück. Vor allem schaudert mich beim Gedanken, was aus mir geworden wäre und welches Glück ich verpasst hätte, wenn ich gegangen wäre. Ich weiß nicht, wie Gott es angestellt hat, dass unsere Ehe innerhalb von kurzer Zeit eine dramatische Wende zum Guten genommen hat, aber er hat es getan. Wir haben die Prinzipien des Hohelieds umgesetzt (damals noch ohne das Buch so gut zu kennen wie heute). Gottes Wort hat sein Werk in uns vollbracht.
Auch heute gilt, dass sein Wort nicht „leer“, das heißt erfolglos zu Gott zurückkehrt, sondern bewirkt, was ihm gefällt (Jesaja 55,11)2). Und Gott wünscht sich für jede Ehe, dass sie zu einem Haus des Weines wird. Wer diese Hoffnung aufgibt und sich von Gottes Ideal verabschiedet, hat eigentlich schon verloren. Deshalb bitte ich dich, genau das nicht zu tun.
Gott ist ein Gott, der uns seine Gaben „reichlich darreicht zum Genuss“ (1Timotheus 6,17). Eine seiner Gaben ist die Ehe. Wenn deine Ehe am Boden ist, dann suche dir Hilfe von außen. Dieser Kurs ist dann nicht genug. Wenn deine Ehe mittelmäßig funktioniert, dann lass dich von Gottes Eheideal anstecken. Glaub mir, eine leidenschaftliche Ehe, in der beide Partner bekommen, wonach sie sich sehnen, ist ein Ziel, das zu erreichen sich wirklich lohnt.
Und mehr noch: Es ist der Schutzraum, in dem wir lernen, Liebe so zu geben, wie Gott es sich wünscht. Hier müsste sich jetzt ein Studium des Ersten Johannesbriefs anschließen, um zu zeigen, dass die Liebe zu den geistlichen Geschwistern (und allgemein zu Menschen) das Trainingsfeld ist, um Liebe zu lernen (vgl. 1Johannes 3,16; 4,11.20). Kannst du dir vorstellen, wie sich deine Fähigkeit, Gott zu lieben, entwickeln würde, wenn du im Umgang mit deinem Ehepartner zum Liebesprofi werden würdest? Nein, kannst du nicht. Denn wenn du es könntest, würdest du Himmel und Erde in Bewegung setzen, um ein Salomo-Liebhaber und eine Sulamith-Geliebte zu werden.
In uns steckt der fatale Gedanke, dass wir - egal wie wir mit Menschen umgehen - schon irgendwie gute Liebhaber Gottes sind. Wir begreifen nicht, dass es viel leichter ist, einen Menschen zu lieben als Gott selbst (1Johannes 4,20). Versagen wir auf der Ebene der Bruderliebe3), und die Ehe zwischen Gläubigen ist ein Sonderfall der geschwisterlichen Liebe, können wir kaum Meister im Umgang mit Gott sein. Auf der Mensch-Mensch-Ebene erwerben wir die Liebeskompetenz, die wir im Umgang mit Gott einsetzen sollen, um unser Lebensziel, nämlich intime Gotteserkenntnis, zu erwerben (vgl. 2Petrus 1,5-8).

2,4b und sein Panier über mir ist die Liebe.

Das Panier ist ein Feldzeichen oder Banner. Das Volk Israel benutzte in der Wüste Feldzeichen, um die Lagerordnung zu gewährleisten (4Mose 1,52; 2,2)4). Durch die Feldzeichen wusste jeder, wo er sein Zelt aufschlagen sollte; sie waren das Ordnung schaffende Prinzip im Volk. Blieb jeder Israelit bei seinem Feldzeichen, gab es beim Aufbruch kein Chaos.
Salomos Panier über Sulamith ist die Liebe. Liebe ist das Zentrum, um das sie sich sammeln, das Bindeglied ihrer Beziehung. Die selbstlose uneigennützige Liebe von Salomo (wie in 1Korinther 13,4-7 dargestellt) ist der Kitt in ihrer Ehe; sogar dann, wenn Sünde in die Ehe einbricht (vgl. Hohelied 5,2ff).

Was hält eure Ehe zusammen? Was ist der Klebstoff? Ist es Liebe oder sind es die Kinder, eine gemeinsame Vergangenheit, die Gemeinde, das Haus, Angst vor Neuem…?


1)
Auch wenn ich grundsätzlich das Hohelied erst einmal nicht allegorisch auslege, fällt es natürlich an dieser und anderen Stellen auf, dass sich Vergleiche mit der Liebe Jesu zu seiner Braut, der Gemeinde, aufzwingen. Es kann auch in meinem Denken kein Zufall sein, dass Jesus als erstes Wunder ein „Haus des Weines“ erschafft (Johannes 2,1-11), in dem Liebende (und ihre Hochzeitsgäste) miteinander feiern.
2)
Natürlich stellt sich dieser „Automatismus“ nur ein, wenn wir genau das tun, was Gottes Wort sagt. Ungehorsam bringt uns dem Segen und dem Glück nie näher.
3)
Damit ist die Liebe zu anderen Christen gemeint. Das deutsche Wort „Geschwister“ wird in der Bibel auch mit „Brüder“ (der wörtlichen Übersetzung aus dem Altgriechischen) wiedergegeben. Von daher stammt das Wort „Bruderliebe“ für die nicht erotische Liebe zu geistlichen Geschwistern.
4)
Das Wort für „Banner“ taucht nur in 4Mose und Hohelied auf.