4,8a Mit mir vom Libanon herab, <meine> Braut, mit mir vom Libanon sollst du kommen;

An dieser Stelle beginnt ihre Reise zur abschließenden Intimität. Die Präposition, die hier als „mit“ übersetzt wird, taucht im Hohelied nur in diesem Vers auf und dann gleich zwei Mal. Das doppelte mit mir betont das vollständige Miteinander, um das es jetzt geht. In der Hochzeitsnacht wird aus zwei Einzelpersonen „ein Fleisch“, eine Einheit, ein Miteinander.
Das weit entfernte und weithin sichtbare Libanongebirge ist ein Bild für Distanz und Gefahr. Der Libanon beschreibt, wie sich Sulamith fühlt. Sie hat sich in die Hand eines Mannes begeben und hat ein wenig Angst vor dem, was jetzt kommt. Hier wird sie zum ersten Mal Braut genannt1). Sie ist nicht länger (nur) seine Freundin, sondern seine Frau. Und sie weiß, dass er zum Myrrhenberg und zum Weihrauchhügel gehen möchte.
Sie weiß, was kommt, aber sie weiß nicht, wie es werden wird. Die ersten sexuellen Erfahrungen sind für eine Frau nicht immer angenehm. Wird er über sie herfallen, sie mehr vergewaltigen als lieben? Wird er ihre Angst respektieren und sie durch ein geeignetes Vorspiel zu einem ersten positiven Liebeserleben hinführen? Salomo nimmt ihre Ängste ernst und bietet ihr an, den Weg mit ihr zusammen zu gehen.
Das sexuelle Miteinander beginnt damit, dass Salomo die Ängste von Sulamith respektiert. Er geht verständnisvoll (vgl. 1Petrus 3,7) vor. Hier trifft die behutsame Fürsorge Salomos, der innerlich vor Lust brennt, auf die ängstliche und zugleich mutige Haltung Sulamiths, die weiß, das „es“ jetzt so weit ist. Er ahnt und akzeptiert ihre Ängstlichkeit, und sie lässt sich einladen, ihm zu folgen. Einmal mehr zeigt sich: Genussvolle Liebe ist eine Mischung aus Rücksichtnahme und Mut. Was am Anfang gilt, das gilt selbstverständlich auch später. Erfüllte Sexualität braucht Zeit, Rücksicht, Neugierde und den unbedingten Wunsch einander mit „Früchten der Liebe“ (vgl. Hohelied 7,14) zu be-schenken. Unser Gott hat Sexualität zum Genuss geschaffen. Eine Ehe, die diesen Genuss leichtfertig aufs Spiel setzt, weil sie sich nicht genü-gend Zeit für Sexualität nimmt (vgl. Hohelied 7,12-14) macht sich an-greifbar. Das Hohelied feiert die körperliche Gemeinschaft und gibt ihr einen sehr hohen Stellenwert im Miteinander. Als kluge Christen sollten wir das auch tun 2)

4,8b vom Gipfel des Armana herab sollst du steigen3), vom Gipfel des Senir und Hermon, von den Lagerstätten der Löwen, von den Bergen der Panther.

Er nimmt sie bildhaft bei der Hand und tritt mit ihr eine Reise an vom Gipfel ihrer Angst, dort wo die Löwen und Panther wohnen, um sie in seinen Garten zu führen (vgl. Hohelied 5,1).

An Ehefrauen: Wie hast du deine ersten sexuellen Erfahrungen erlebt? War dein „erstes Mal“ von Rücksicht und Besonnenheit geprägt? Wenn nein: Wie sehr leidest du unter deinen Erfahrungen? Brauchst du seelsorgerliche Hilfe?

An Ehemänner: Wie gut kennst du die sexuellen Grenzen und Ängste deiner Frau? Weißt du um Verletzungen aus ihrer Jugend?

An Ehemänner: Nimmst du dir genug Zeit für Romantik und ein ausgedehntes Vorspiel?

An Ehefrauen: Verweigerst du dich manchmal deinem Mann? Wenn ja, dann studiere 1Korinther 7,5 und hilf deinem Mann dabei, dich vorsichtig in „seinen Garten“ zu führen.

Könnt ihr über sexuelle Probleme und Bedürfnisse reden? Wenn nein, kauft euch ein paar Ehebücher oder Sexualratgeber. Ihr sollt nicht alles kopieren, was darin beschrieben wird, aber ihr werdet dort Worte finden, um eure Schwierigkeiten und Wünsche besser artikulieren zu können.


1)
Ansonsten nur noch Hohelied 4,9.10.11.12 und Hohelied 5,1. Ihr „Brautstatus“ wird in diesen Versen herausgestellt und betont.
3)
Das Verb kann mit „schauen“ und „gehen“ übersetzt werden. Ich entscheide mich wegen der Parallele zu „herabkommen“ für die Übersetzung „herabsteigen“.