6,12 Da setzte mich - ich weiß nicht <wie> - mein Verlangen1) <auf> die Streitwagen meines edlen Volkes2).
Während sie in den „Nussgarten“ spaziert, auf seine Bedürfnisse eingeht und mit ihm schläft, ändert sich ihre Gemütsverfassung dramatisch. Ohne dass sie selbst so richtig versteht, was mit ihr passiert, fühlt sie sich wie auf einem Streitwagen, der in die Schlacht fährt.
Streitwagen gehörten in einer antiken Schlacht zu den gefährlichsten, schnellsten und tödlichsten Waffen. Da mehrere Menschen auf dem Wagen standen (Lenker und Bogenschützen), beschreibt Sulamith mit dem Bild des Streitwagens eine Szene voller Dramatik, Spannung und Nähe. Sie geht in den Garten, vielleicht nur, um sich der Liebe Salomos zu versichern, und findet sich plötzlich in einem Zustand erregender Zweisamkeit wieder: Gemeinsam blicken sie nach vorne, kämpfen nicht (mehr) gegeneinander, sondern Seite an Seite gegen die auf sie zukommenden Probleme.
Hier sehen wir das Ziel echter Versöhnung. Weit davon entfernt, nur einen Waffenstillstand auszuhandeln und billigen Frieden herbei-zureden, kehrt Sulamith zurück zur ersten Liebe (und darüber hinaus). In Hohelied 5,1 war Salomo in seinen „Garten“ gegangen, jetzt geht sie in ihren. Wirklich interessant dabei ist das Bild vom Streitwagen. Mir scheint, dass Sulamith hier von ihren Empfindungen selbst überrascht ist. Das Ende des Streits ist nicht nur eine Rückkehr in den Garten, als ein Bild für die Tiefe der Beziehung, sondern geht darüber hinaus.
Weil Salomo nicht bitter wird und Sulamith sich zurechtbringen lässt, wird ihr „Streit“ (bzw. die Möglichkeit, einen Streit zu beginnen) zu einem Mittel, um ihre Verbundenheit zu stärken. Der Umgang mit Sulamiths Fehler offenbart ihre tiefe Liebe zueinander. Was leicht zu einem Zerwürfnis und zu einer dauerhaften emotionalen Distanz hätte führen können, entwickelt sich in den Händen dieser Liebenden zu einer Chance, die eigene Beziehung weiterzuentwickeln und zu vertiefen.
Ist das nicht eine grandiose Hoffnung? Wir werden Sünde, Missverständnisse und Launen nicht vermeiden können. In jeder Ehe treffen zwei Sünder aufeinander! Aber wir können dafür sorgen, dass sogar die Momente persönlicher Schwäche „zum Guten mitwirken“ (Römer 8,28) und unsere Ehe intensivieren, wenn wir liebevoll reagieren und Salomos Tipps ernst nehmen.
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