1,14 und machst die Menschen wie die Fische des Meeres, wie einen Schwarm1), der keinen Herrscher hat?

Das scheint Habakuks Hauptanklagepunkt zu sein: In seiner Souveränität hat Gott die Menschen reduziert auf den Status von Tieren. Der Mensch war dazu berufen, „über die Fische des Meeres … und über alle kriechenden Tiere“ zu herrschen (1Mose 1,26), aber statt Herrschaft auszuüben, fehlt es ihm jetzt an einem Herrscher. Ohne Schutz und ohne Führung ist er wie die Fische des Meeres: Eine Beute für die Chaldäer.
Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Starken nehmen den Schwachen das Lebensrecht und benutzen sie für ihre Zwecke. Wie kann Gott der Degradierung des Menschen, seines irdischen „Königs“ (vgl. Psalm 8,7), so tatenlos zusehen?
Letztlich beantwortet sich die Frage erst am Kreuz. Ohne das Kreuz bleibt Gott ein tatenloser Gott, dessen Nachsicht nur den Verbrechern nützt. Am Kreuz richtet er alles Böse und bestätigt seine Vorstellung von Gerechtigkeit (vgl. Römer 3,26). Gerechtigkeit ist aus Glauben! Das Kreuz ist gleichzeitig Gottes „nein“ zur Sünde2) und Gottes einladendes „ja“ an den glaubenden Sünder. Gott erduldet selbst die schlimmste Ungerechtigkeit und macht durch seinen Tod den, „der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel“ (Hebräer 2,14) zunichte. Der Sieg über alle Ungerechtigkeit wird nicht im Jüngsten Gericht, sondern durch Golgatha und Auferstehung errungen. Hätte Gott nur das Gericht zu bieten, würde wohl das Böse bestraft werden, aber der Böse, der hinter allem Bösen steckt, hätte doch sein Ziel erreicht. Der Weg Jesu zur Herrschaft ist deshalb ein Weg der Erniedrigung und des „Todesleidens“ (Hebräer 2,9)3). Gottes Idee von Gerechtigkeit hat nicht nur die Bestrafung des Sünders im Blick, sondern auch die Befreiung derer, „die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft <der Sünde> unterworfen“ sind (Hebräer 2,15). Ohne das Konzept „Gerechtigkeit aus Glauben“ gibt es für keinen Errettung. Niemand muss zum Chaldäer werden, um die Hölle zu verdienen. Letztlich ist die Frage danach, wer wie viel sündigt, überhaupt irrelevant, weil alle gesündigt haben und im Blick auf Gottes Erwartungen Verlierer sind (Römer 3,23).


1)
O. das Gewürm, Würmer
2)
Und zum Sünder (vgl. Psalm 11,5)! Die Formel „Gott hasst die Sünde und liebt den Sünder“ ist biblisch nicht haltbar. Besser wäre es zu sagen: „Gott hasst den Sünder für seine Sünde und liebt ihn gleichzeitig, weil Gott nicht nur Heiligkeit, sondern auch Liebe ist.
3)
Wir brauchen Lamm und Löwe. Der Löwe allein hätte uns nur zerrissen!