1,13 Du hast zu reine Augen, um dir Böses anzusehen, und Verderben vermagst du nicht anzuschauen. Warum schaust du Räubern zu, schweigst, wenn der Gesetzlose den verschlingt, der gerechter ist als er,

Die Augen stehen bildhaft für Gottes Fähigkeit, etwas wahrzunehmen. Gottes Augen sind reine Augen, d.h. in seiner Allwissenheit weiß er zwar um alle Gesetzlosigkeit, aber er toleriert das Böse nicht und heißt es nicht gut. Reine Augen haben kein Gefallen daran, Böses anzusehen oder Verderben anzuschauen.
Aus diesem Wissen um Gottes Heiligkeit erwächst dem Propheten eine Frage: Wie kann es sein, dass Gott der Ungerechtigkeit nur zusieht und nichts sagt? Warum richtet er nicht die Räuber und die Gesetzlosen? Als Antwort auf diese Frage genügt nicht ein kleiner Hinweis auf die Verfehlungen des Volkes Israel. Natürlich hatte Israel gesündigt und Habakuk musste das wissen! Habakuk wollte keine Geschichtslektion, die Frage, die er stellt, hat einen tieferen Sinn. Sie gipfelt schließlich in der Frage am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ (Matthäus 27,46) Warum duldet Gott das Böse, um das Böse zu vernichten? Und nicht nur ein bisschen Böses, Habakuk selbst hatte, Gott um ein zurechtbringendes Eingreifen gebeten (Habakuk 1,2-4); die eigentliche Frage lautet, warum Gott so viel unbegreiflich grausames Böses zulässt, dass der Gesetzlose den sogar Gerechten verschlingt, d.h. vollständig überwältigen darf!
Es ist die Qualität des Gerichts, die Habakuk verblüfft. Wird hier nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben? Wird Gott als Rächer nicht zur Ursache für ein Unrecht, das in keinem Verhältnis zur Tat steht? Bleibt am Ende nicht Blut an Gottes eigenen Händen kleben? Ist Gottes Handeln noch gerecht?