2,7 Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hirschkühen des Feldes, dass ihr nicht weckt noch aufweckt die Liebe, bis es ihr <selbst> gefällt!

Zum Schluss eine Warnung aus Sulamiths Mund. Obwohl sie bei den Gazellen und Hirschkühen schwört, ist das hier kein echter Schwur1). Sie benutzt lediglich die Stilistik eines Schwurs, um die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, ein Anliegen, das eng mit der bildhaften Bedeutung von Gazellen und Hirschkühen zu tun hat. Beide Tiere stehen für den Genuss der ehelichen Liebe. Die Kitze der Gazelle werden im Hohelied benutzt, um die weiblichen Brüste zu beschreiben (Hohelied 4,5; 7,4) und Sprüche 5,19 nennt die „Frau der Jugend“ eine „liebliche Hirschkuh“, in deren Liebe der Ehemann Rausch und Taumel finden soll. Sulamith warnt die Töchter Jerusalems hier nicht davor, sich zu verlieben. Das Verlieben gehört zum Leben dazu (vgl. Hohelied 1,3; Prediger 3,5.8). Sie spricht eine Warnung hinsichtlich der sexuellen Liebe aus: „Pass auf, dass du die Freuden der körperlichen Liebe und die damit einhergehenden Emotionen nicht unterschätzt! Spiele nicht mit dem Feuer, sonst wird es dich verbrennen. Wecke körperliche Liebe nicht auf (zum Beispiel durch Striptease, Petting oder (zu) heftiges Küssen)!“
Inmitten einer von Sex durchdrungenen Gesellschaft kann man diese Warnung nicht ernst genug nehmen. Eine tragfähige und leidenschaftliche Beziehung kann nicht auf Sex aufgebaut werden. Sie braucht ein tieferes Fundament, nämlich Liebe. Um genau zu sein: selbstlose Liebe, die warten kann, weil sie Gott vertraut, und klug genug ist, Gottes Gedanken von Ehe anzunehmen.
Noch zwei Mal findet sich diese Warnung im Hohelied: am Ende des nächsten Abschnitts, der die Phase der enthaltsamen Liebe vor der Ehe beschreibt (Hohelied 3,5) und am Ende von Abschnitt VI, wenn Sulamith als reife Frau auf eine gesegnete Beziehung zurückblickt (Hohelied 8,4). Wer Gottes Gebote hält, steht zuletzt immer als Gewinner da. Wer sich nicht warnen lässt, muss mit den Folgen leben. Dass Sulamith die Warnung drei Mal ausspricht, gibt ihr ein besonderes Gewicht. Wenn du einen Fehler nicht begehen solltest, dann diesen: Weck die Liebe nicht auf! Werde nicht zu früh intim! Lass Sexualität das Sahnehäubchen deiner Beziehung sein, aber nicht das Fundament!

Wie fing eure Beziehung an? Habt ihr Sulamiths Warnung ernst genommen oder missachtet? Müsst ihr womöglich noch Verantwortung für euer Fehlverhalten übernehmen, Buße tun und einander vergeben?


Wir haben als Ehepaar beide Seiten kennengelernt. Wir wissen, was es bedeutet, die Liebe zu früh aufzuwecken, dann zum Glauben an Gott zu finden und auf Sexualität für eine Zeit zu verzichten. Das Warten auf die Hochzeit war für uns nicht immer einfach, aber wir haben in dieser Zeit das eigentliche Fundament für unsere Ehe gelegt (Gottesfurcht und eine Liebe zur Wahrheit) und einander überhaupt erst kennengelernt.
Ich würde Sulamiths Warnung unterschreiben. Sie hat recht. Der größte Fehler, den eine junge Liebe machen kann, ist der, dass sie zu früh intim wird. Sex außerhalb einer Ehe bezeichnet die Bibel als Unzucht (oder Hurerei)2). Der Apostel Paulus beschreibt Unzucht3) als die „einzige Sünde, mit der ich direkt gegen meinen Leib sündige“ (1Korinther 6,18). Sie hat eine ganz eigene Qualität, weil Sexualität beim Menschen nicht nur zum Zeugen von Kindern dient. In der Hochzeitsnacht schließen zwei Menschen einen Bund (bei dem übrigens, wenn das Jungfernhäutchen einreißt, wie bei anderen Bundesschlüssen in der Bibel Blut fließen kann; vgl. 5Mose 22,17). Dieser Bund ist heilig und soll nicht gebrochen werden (Maleachi 2,14.16).
Wenn zwei Menschen „ein Fleisch“ (1Mose 2,24) werden, verbinden sie sich auf geheimnisvolle Weise miteinander. Es ist nicht nur das mechanische Eindringen eines erregierten Glieds in eine Vagina! Es ist der Beginn einer Beziehung, die alle Bereiche meines Menschseins umfasst: Körper, Seele und Geist. Der Geschlechtsakt selbst ist nur der intimste Ausdruck dieser Beziehung. Ihn aus dem Schutz der Ehe herauszulösen, in die Öffentlichkeit zu zerren und zum Leistungssport zu erklären, das ist die große „Errungenschaft“ der letzten Jahrzehnte. Eine Gesellschaft, die nicht auf Sulamith hört, bekommt freie Liebe, Pornographie und Sextechniken, aber sie verliert liebevolle Beziehungen mit Tiefgang.
Deshalb greift die Frage, die oft von Jugendlichen gestellt wird: „Wo steht in der Bibel, dass ich vor der Hochzeit nicht mit meinem Freund/meiner Freundin schlafen darf?“ zu kurz. Die „richtige“ Frage muss lauten: „Was muss ich heute tun, um eine Beziehung wie Salomo und Sulamith zu bekommen?“ Wie soll deine Ehe in 20 Jahren aussehen? Strebst du das leidenschaftliche Hohelied-Modell an oder die langweilige Alternative, die dir allerorts begegnet?“ Wenn du es auf eine Beziehung anlegst, die jedes Jahr schöner wird und dich auf Dauer zutiefst befriedigt und erregt, dann höre auf Sulamith: Wecke die Liebe nicht auf!
Mit dieser Aufforderung geht Abschnitt I zu Ende (siehe Struktur). Der Prolog hatte das Ziel, uns die Tiefe der Liebe zwischen Salomo und Sulamith vor Augen zu führen. Wir haben einen Eindruck bekommen, welche Probleme erschwerend auf ihre Beziehung hätten wirken können, und wie ihre Liebe alle Standesunterschiede, alle Verletzungen und alle missgünstigen Blicke zudeckt. Der Prolog zeigt uns eine Beziehung, die kaum schöner sein könnte. Damit will Salomo eine Frage provozieren: Was ist das Geheimnis ihrer Beziehung? Wie fing das an? Und wie schaffen sie es, ihre Beziehung auf so hohem Niveau halten? Der Hauptteil des Liedes (Abschnitte II-VI) wird uns darauf einige Antworten geben.

1)
Ein echter Schwur hätte nur im Namen Gottes geschehen dürfen (5Mose 6,13).
2)
Mehr dazu: Fischer, Bärbel und Jürgen: Mit Werten erziehen & prägen, CMD, 2010. Vor allem die Lektion
„Unzucht, Hurerei, Unreinheit“.
3)
Er geht im Zusammenhang auf den Besuch bei Prostituierten ein, nicht auf vor¬ehelichen Sex.