Wo bleibt das geistliche Leben der Beiden?

Das Neue Testament kennt aus 1Korinther 7,39 das Prinzip, dass eine gläubige Witwe heiraten kann, wen sie will, es muss nur „im Herrn“ geschehen. Aus dieser Formulierung ist zu Recht abgeleitet worden, dass ein Christ nur einen Christen heiraten soll. Wenn es das Lebensziel eines Jüngers ist, zuerst nach Gottes Reich zu trachten (Matthäus 6,33), dann kann er das nicht mit einem Ehepartner an seiner Seite erreichen, der seine Leidenschaft für Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit nicht teilt. Frage: Warum steckt dieser Gedanke nirgends im Hohelied? Muss man nicht den Eindruck gewinnen, dass Salomo und Sulamith keine geistliche Gemeinschaft miteinander pflegen? Nirgends lesen wir von zusammen besuchten Gottesdiensten oder irgendeinem Ausdruck von gemeinsam praktizierter Frömmigkeit. Stimmt, aber das ist auch der Schlüssel zur Beantwortung der Frage. Eine leidenschaftliche Ehe kann nicht auf Gebet, Bibellese oder gemeindlichem Engagement aufgebaut werden. Um es klarer zu sagen: Keine geistliche Übung1) kann Ersatz sein für Freundschaft, Bewunderung, Rücksichtnahme oder den Austausch von Zärtlichkeiten. Das Feuer einer Ehe ist nicht das Feuer des gemeinsamen Glaubens! Die gemeinsame Zugehörigkeit zum Volk Gottes wird im AT2) wie im NT vorausgesetzt, weil sich eine Ehe nur um ein Zentrum drehen kann und dieses Zentrum muss Gott sein. Eine Ehe jedoch, die sich allein aus dem gemeinsamen Glauben nährt, mutiert schnell zur Dienstgemeinschaft und verliert den Kitzel und das Besondere. Für Männer ist eine solche Entwicklung häufig schlimmer als für Frauen, weil es ihnen schwerer fällt, auf leidenschaftlichen Sex zu verzichten. Und der bleibt in einer auf Leistung und das Erledigen von Arbeit reduzierten Ehe zuerst auf der Strecke.

Kennt ihr Ehepaare, die das erlebt haben? Habt ihr diese Erfahrung auch schon gemacht?


Das Hohelied will den Wert der geistlichen Gemeinschaft einer Ehe nicht herabsetzen. Ich glaube daran, dass es für ein Ehepaar wichtig ist, regelmäßig miteinander zu beten, eine Kultur des Austauschs über biblische Themen zu schaffen und einander im Glaubensleben zu unterstützen, aber Ehe ist mehr als der gemeinsame Glaube. Der gemeinsame Glaube an Gott ist unser Fundament. Weil wir glauben, hören wir auf Gott, wenn er uns im Hohelied seine Vision von Ehe erklärt. Insofern fußen Leidenschaft, Zärtlichkeit, Begeisterung und Hingabe auf dem Glauben, weil sie Ausdrucksformen gelebter Gottesfurcht sind, aber sie können nicht durch „heiligere Verhaltensweisen“ ersetzt oder zur Seite gedrängt werden. Für den gläubigen Verheirateten tritt im Moment der Eheschließung die Beziehung zum Ehepartner an die Seite der Beziehung zu Gott. Das muss uns keine Sorgen machen, wir müssen nur akzeptieren, dass es so ist. Wir sind geteilt (1Korinther 7,32-34) und unsere Aufgabe besteht jetzt darin, sowohl dem Ehepartner zu gefallen als auch Gott. Das Hohelied zeigt uns dabei, wie man seinem Ehepartner gefällt.

1)
Darunter verstehe ich Dinge, die für einen Jünger Jesu normal sind, wie Spenden, Beten, Fasten, Gelübde, das Studium der Bibel, kirchlicher Dienst nach der Maßgabe der eigenen Gnadengabe, Singen von geistlichen Liedern usw.
2)
vgl. 5Mose 7,3; Esra 9.10; Nehemia 13,23-30; Maleachi 2,10-12