Sprüche 30,17

Sprüche 30,15-17

Der Blutegel1) hat zwei Töchter2) : gib her! gib her! Drei sind es, die nicht satt werden, vier, die nicht sagen: Genug!3) * Der Scheol und der unfruchtbare Mutterleib, die Erde, welche des Wassers nicht satt wird, und das Feuer, das nicht sagt: Genug !* Ein Auge, das den Vater verspottet und den Gehorsam gegen die Mutter4) verachtet, das werden die Raben des Baches aushacken und die jungen Geier fressen.

Agur bleibt noch ein bisschen beim Thema Unersättlichkeit. Er bringt Beispiele aus der Natur und der Gesellschaft.

Die Zahl Drei hat keine Bedeutung. Sie taucht hier nur auf, weil in einem numerischen Parallelismus die jeweils nächste Zahl verwendet wird, um eine Steigerung anzudeuten. Aber Agur will zur Vier. Vier Dinge gleichen der bösen Generation und sind stets darauf aus, mehr zu bekommen und können doch nie genug haben.

Agur beschreibt die Natur, damit sein Sohn an den vier „Unersättlichen“ etwas lernt. Er soll zuerst einmal lernen wie weit verbreitet und in der Natur auch normal das Prinzip der Unersättlichkeit ist. Nicht alle Gier ist falsch. Der Blutegel darf sich vollsaugen, der Scheol darf sich die Toten einverleiben, eine unfruchtbare Frau darf sich nach Kindern sehnen, eine Wüste darf sich mit Wasser vollsaugen und ein Feuer darf wüten, bis ihm der Brennstoff ausgeht. Nur was für einen Blutegel in Ordnung ist, das ist nicht in Ordnung für einen Menschen. Was für das Totenreich, die Wüste oder das Feuer gilt, gilt nicht für alle Menschen. Ja, selbst die tief sitzende Sehnsucht einer Kinderlosen darf nicht einfach pauschal auf jeden ande-ren Aspekt des Lebens übertragen werden. Nur weil es in der Natur und unter Menschen ein gerechtfertigtes Verlangen nach immer mehr gibt, heißt das nicht, dass dieses Prinzip mein ganzes Leben in allen Bereichen beherrschen und bestimmen darf. Und zwar einfach deshalb nicht, weil mein Schicksal davon bestimmt wird, wie ich mit meinen Eltern als Inbe-griff der mir von Gott Anvertrauten umgehe.

Findest du noch mehr Beispiele aus der Natur für das Prinzip der Unersättlichkeit?


Zum Schluss erläutert Agur das Schicksal der in den Versen 11-14 so negativ charakterisierten Generation. Dazu greift er das Thema Umgang mit den Eltern noch einmal auf, mit dem er den aktuellen Diskurs in Sprüche 30,11 gestartet hat. Ging es dort um das Fluchen bzw. das Nicht-Segnen der Eltern, so geht es jetzt um den spöttischen Blick auf den Vater bzw. das bewusste Wegschauen, wenn die (alte) Mutter ihre Rechte auf Versorgung und Unterstützung einfordert. Ein verächtlicher und unsensibler Umgang mit den eigenen Eltern bleibt nicht ungestraft. Die Augen repräsentieren hier das Innere des Menschen. Wie wir etwas ansehen spiegelt wider, wie wir innerlich zu der Sache stehen (Matthäus 6,22.23; vgl. Matthäus 20,15). Die Strafe für den Elternhasser ist ein schmählicher Tod, bei dem der Körper (bzw. das Auge) nicht begraben, sondern von Raben und Geiern aus-gehackt und aufgefressen wird. Im Bild ist eine Leiche am Flussufer, über die sich aasfressende, unreine (3Mose 11,13.15) Vögel hermachen. Was für ein Ende!

Wie schaust du deine Eltern an? Was können sie in deinen Augen lesen?



1)
Es handelt sich hierbei um den Pferdeblutegel, der in stehenden Gewässern in Palästina weit verbreitet war und sich in Nüstern sowie im Gaumen trinkender Pferde festsetzt. Er hat an jedem Ende ein Saugorgan: Eines, um sich am Wirt festzusetzen, und eines, um Blut zu saugen.
2)
Interessant, dass es nicht Söhne sind. Ob es an der Tatsache liegt, dass Töchter lieber shop-pen gehen als Söhne (jedenfalls in der Regel) und für das väterliche Bankkonto das größere Risiko darstellen ist nicht bekannt. :)
3)
Die Beispiele Scheol (Tod, Totenreich), unfruchtbarer Mutterleib, nasse Erde und Feuer bilden zwei Paare. Der Tod beendet, was der Mutterleib hervorbringt, und ebenso verbrennt das Feuer die Frucht der nassen Erde. Außerdem sind die vier Begriffe chiastisch aufgebaut: Scheol beendet – Mutterleib bringt hervor X Nasse Erde bringt hervor – Feuer beendet
4)
Ich denke, es geht hier um eine alte Mutter (die LXX übersetzt „das Alter der Mutter“) und um den Gehorsam, den sie in Form von Versorgung, Segen und Respekt verdient. Erwachsenwerden hat in der Bibel m.E. damit zu tun, dass man seine Eltern verlässt (2Mose 2,24) und eigene Verantwortung für sein Leben übernimmt.