Vorbemerkung

Wie jedes Ideal steht auch das Hohelied in der Gefahr, uns so sehr zu frustrieren, dass wir den Wunsch nach Veränderung angesichts des hohen Ziels aufgeben. Wir sind alle Liebeskrüppel, von der Sünde gezeichnete und deformierte Charaktere, die sich mehr oder weniger erfolgreich durch ein Leben mit seinen Stimmungsschwankungen und Schwierigkeiten schleppen. Keiner ist ein Held und keiner ist seelisch gesund. Deshalb brauchen wir den großen Arzt, Jesus, der uns Sündenvergebung, ein neues Herz, den Heiligen Geist und Hoffnung schenkt.
Die Wiedergeburt ist der Startpunkt für ein Leben, das sich an Jesus ausrichtet und für ihn gelebt wird. Wenn wir Kinder Gottes sind, ist Gott mit uns. Wir dürfen mit Jesu Hilfe emotionale Grenzen überschreiten und echte Befreiung von tief sitzenden Gewohnheiten erfahren. Allerdings brauchen diese Veränderungen Zeit. Mein persönlicher Kampf mit dem Jähzorn dauerte ungefähr zehn Jahre. Bis ich mit Gottes Hilfe ein Ja zu meiner miesen Kindheit fand, vergingen fast 20 Jahre. Gott überfordert uns nicht. Er nimmt sich die Zeit, die wir brauchen, um heil zu werden.
Bei Jesus finden wir Frieden und Ruhe. Sein Angebot gilt bis heute: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben … und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“ (Matthäus 11,28-29) In diesen übernatürlichen Heilungsprozess, der unser Denken, Fühlen und Verhalten betrifft, spricht das Hohelied eine Einladung aus: Trau dich, Gefühle zu entwickeln und romantische Worte auszusprechen! Trau dich, von echter Liebe und Leidenschaft zu träumen! Lass dich nicht von dem Salomo-Sulamith-Ideal abschrecken, sondern umarme Gottes Idee von Ehe und wage einen ersten Schritt.
Es gibt auch in punkto Leidenschaft Wachstum. Es sind erste und zweite Schritte, auf die es ankommt, die uns dem Ziel zwar langsam, aber stetig näherbringen. Lies deshalb dieses Buch bitte nicht mit der Einstellung: „Das schaffe ich eh nie!“ Lies es, wie man beim Lieblingsitaliener Pizza isst: neugierig, erwartungsvoll und aufmerksam. Es gibt bestimmt den ein oder anderen Tipp, der sich sofort umsetzen lässt.
Vergiss das Gebet nicht: „Herr, was willst du, dass ich tun soll? Herr, wo ist mein Denken verkehrt?“ Gott erhört ernstes Beten. Er wird dir konkrete Dinge zeigen. Vielleicht sind es in deinen Augen Banalitäten wie das Schreiben eines Liebesbriefes, das Planen eines Eheabends oder der Einkauf von Massageöl. Ich weiß nicht, wo der Heilige Geist dich hinführen wird. Ich habe es gelernt, die Schönheit meiner Frau immer wieder zu bewundern, Eheurlaube einzuführen und mir viel mehr Gedanken über ihren charmanten Charakter zu machen. Ich musste mir eingestehen, dass ich es an Bewunderung hatte fehlen lassen, dass ich verantwortlich war für eine lieblose Streitkultur und dass ich meine Frau zu oft und völlig unnötig mit meiner Besserwisserei entmutigt habe.
Du siehst: Das Hohelied kann praktisch werden. Wir müssen es nur an uns heranlassen. Deshalb dürfen wir uns nicht hinstellen und behaupten: „Bei mir ist alles in Ordnung!“ In Wirklichkeit wollen wir dann nämlich sagen: „Ich will mich nicht ändern! Ich will bleiben, wie ich bin!“ Und tief drin meinen wir: „Ich habe Angst vor dem, was ich finde, wenn ich mich für Gefühle öffne! Was, wenn mich dieser Schritt mit meiner eigenen Hilflosigkeit und Verletzlichkeit konfrontiert? Was, wenn mir das Hohelied mein Versagen aufzeigt - ich kann meine Fehler doch nicht ungeschehen machen!“
Das stimmt, aber hab keine Angst! Du brauchst dich nicht zu fürchten, denn Jesus ist an deiner Seite und wird dich auf dem Weg in die Freiheit begleiten. Öffne dich für sein Ideal von Beziehung und du wirst erleben, dass es deiner Seele unendlich gut tut. Gott weiß, was wir brauchen und wofür wir geschaffen sind. Tue konkrete „Werke der Liebe“ (Offenbarung 2,5) und du wirst merken, wie sie dein Denken und Fühlen verändern. Tue das Richtige, egal, wie du dich dabei fühlst - und anfänglich wird es sich ungewohnt, komisch und vielleicht falsch anfühlen - und erlebe, wie die Tat das Empfinden steuert, zur Gewohnheit wird, den Charakter formt und deine Ehe verändert. In dir steckt eine liebevolle Ehefrau oder ein liebevoller Ehemann. Gott hat das Potenzial dafür in dir schon angelegt. Entfessle den Sturm!
Ja, aber was ist, wenn ich zwar will, aber mein Partner nicht mitzieht? Dann tu du deinen Teil. Fang mit dem Lieben und der Leidenschaft an. Du bist zuerst einmal nur für dich verantwortlich. Bete für deinen Partner, dass er an dir erkennen kann, wie gut es Gottes Wort auch mit ihm meint, aber begehe nicht den Fehler, nichts zu tun.
Als echte Christen leben wir nicht für unseren Ehepartner, sondern für den Christus. Wir wollen Leidenschaft leben, um Gott zu gefallen, und nicht zuerst, um unsere Ehe zu verbessern. Und mehr noch: Wir wollen Leidenschaft entdecken, weil wir Gott erkennen wollen. Je leidenschaftliche wir lieben, desto mehr verstehen wir etwas von der Liebe Gottes zu uns. Unsere Leidenschaft füreinander ist ein Bild dafür, wie tief die Liebe des himmlischen Vaters zu uns, seinen Kindern, ist. Nicht umsonst gibt sich Gott den Namen „Eifersüchtig“ (2Mose 34,14). Er ist nicht einfach „Liebe“ auf eine abstrakte und distanzierte Weise. Er liebt uns nicht, wie man seine Lieblingspantoffeln liebt. Er ist ein eifersüchtiger Gott, der uns mit keinem teilen will, voller Temperament und Opferbereitschaft. Indem wir uns auf das Abenteuer Leidenschaft in unserer eigenen Ehe einlassen, werden wir etwas von dieser Dimension seines Wesens erfassen.