1,1 Das Lied der Lieder, von Salomo.

Die Formulierung „Lied der Lieder“ ist ein hebräischer Superlativ. Das Hohelied ist das Schönste aller Lieder, die Nummer eins der alttestamentlichen Kuschelrock-Charts. Ist es nicht interessant, dass einem Lied, in dem Gott kaum erwähnt wird, diese Beurteilung bekommt? Hätten wir nicht eher erwartet, dass ein Psalm, der Gott in den höchsten Tönen preist, auf dem ersten Platz landet?
Erst wenn wir begreifen, dass die körperliche Liebe zwischen Mann und Frau ein Symbol für die noch tiefere Liebe Gottes ist, werden wir verstehen, warum das Hohelied eine solche Ausnahmestellung einnimmt. Es beschreibt nicht einfach „nur“ die Liebe zwischen Mann und Frau, die für einen Christen irgendwie weniger wichtiger ist als die Liebe zu Gott, sondern das Hohelied beschreibt ein Geheimnis, das bis in die Tiefen des dreieinigen Gottes reicht. Wenn die Bibel davon spricht, dass Gott Liebe ist (1Johannes 4,16), dann bringt sie damit zum Ausdruck, dass zwischen Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiliger Geist eine Liebesbeziehung besteht (Johannes 17,23.26). Eine liebevolle Ehebeziehung reflektiert diese Liebe zwischen den Personen der Gottheit und weist auf die Liebe hin, die Gott zu uns hat (Epheser 5,32).
Dabei will das Hohelied als Poesie nicht zuerst unseren Intellekt befriedigen, sondern es will mit seinen Bildern unsere Gefühlswelt aufrütteln. Wir müssen keine Mystiker werden, um zu begreifen, dass der Mensch, der aus Körper, Seele und Geist besteht, nicht von abstrakten Schulwahrheiten allein leben kann. Eine gesunde Psyche braucht Gefühle! Ein geistlich reifes Leben ist deshalb ein ausgewogenes Leben, das Emotionalität und Begreifen zu einer Einheit verbindet. Wir sollen Gott mit unserem ganzen Verstand und mit unserer ganzen Seele lieben (Markus 12,30). Herzlose Besserwisserei im Stil der Pharisäer ist ebenso weit von Gottes Ideal entfernt wie gefühlsduselige Gedankenlosigkeit. Kopf und Herz sollen eine Einheit bilden - in der Ehe wie auch generell im Leben mit Gott. Die große Botschaft des Hohelieds lautet: Liebe braucht sinnliche Leidenschaft. Liebe ohne Erregung ist wie Erdbeerkuchen ohne Schlagsahne, das Entscheidende fehlt. Liebe ohne Leidenschaft ist eine Liebe, die Gott nicht entspricht.
Aber hören wir ihn selbst: „Du sollst Götzen nicht anbeten und ihnen nicht dienen, denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“ (2Mose 20,5). Und Mose begründet seine eindringliche Warnung vor dem Götzendienst mit den Worten: „Denn der HERR, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer, ein eifersüchtiger Gott!“(5Mose 4,24) Gott ist zornig auf die Götzen, weil sie in Konkurrenz zu ihm treten. Er hat als Schöpfer das Recht auf die exklusive Beziehung zu allen Menschen. Und diese Liebesbeziehung lebt er mit absoluter Hingabe. Deshalb sein Zorn auf alle Götzen und alle Götzendiener, die geistlichen Ehebruch treiben.
Obwohl das Hohelied Gott kaum erwähnt, führt es uns zu der Form von Liebe, die Gott entspricht, und es bewahrt uns davor, Christsein als intellektuelle Übung zu verstehen, der es genügt, ein paar Kindergottesdienst-Wahrheiten aufzusagen und artige Gebete zu sprechen. Gott erkennen heißt, seine eifersüchtig-leidenschaftliche Liebe zu uns erkennen. Und dafür brauchen wir ein Vorbild, etwas, das wir verstehen und an dem wir uns mit unseren Gedanken entlang hangeln können. Gott wählt dafür die Liebe von Salomo zu Sulamith. Von ihnen lernen wir etwas über Leidenschaft und auf diese Weise verstehen wir Gottes Liebe zu uns. Deshalb ist das Hohelied das schönste aller Lieder.
Salomo hat keinen guten Ruf, wenn es um Frauen geht. Gegen Ende seines Lebens lenken die vielen ausländischen Königinnen sein Herz weg von seinem Gott (1Könige 11,1-8). Aber Salomo ist ein Garant für Weisheit, Inspiration und die Fähigkeit, Lieder zu schreiben (in 1Könige 5,12 ist von 1005 Liedern die Rede). Wir können also beruhigt auf seine Ratschläge hören, ohne seinem Vorbild Folge leisten zu müssen 1).

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Wie würdest du dich selbst beschreiben? Bist du eher ein Kopfmensch oder ein Gefühlsmensch? Wenn Kopf und Herz eine Einheit bilden sollen, welchen Bereich müsstest du entwickeln?


1)
Jesus gibt denselben Rat im Hinblick auf die Pharisäer in Matthäus 20,23. Es ist so schade, wenn geistliche Autoritäten zwar das Richtige lehren, aber als praktisches Vorbild total versagen. Wie viele Väter und Mütter sind so an ihren Kindern schuldig geworden! Ich bete, dass es mir gelingt, das zu leben, was ich lehre (wenigstens meistens). Und ich gebe dir hiermit das Recht, mich auf jede Diskrepanz zwischen Leben und Lehre hinzuweisen. Ich will ein lieber, weiser alter (Ehe-)Mann werden!