Exkurs: Schönheitsideale und was „schön“ ist

Schönheitsideale sind ein interessantes Thema1), denn sie ändern sich. Auf der Liste der Attribute für besondere Attraktivität steht zurzeit die makellose Gesichtshaut ganz oben. Im Hohelied finden wir nichts davon! Dasselbe gilt für den knackigen Po, das Körperteil, mit dem in unserer Zeit vielleicht größten Sexappeal2). Im Hohelied wiederum Fehlanzeige. Dafür schätzt Salomo Sulamiths Bauch (Hohelied 7,3, siehe Auslegung), weil jahrhundertelang ein kleines Bäuchlein sehr sexy war. Heute ist „Hüftgold“ böse! Ab ins Fitnessstudio!
Überhaupt muss man sich beim Hohelied wundern, dass es sich Zeit nimmt, die Schönheit Salomos hervorzuheben und Sulamith so nette Dinge sagen lässt wie „du bist schön, mein Geliebter“ (Hohelied 1,16; s.a. Hohelied 5,10-16). In der außerbiblischen Liebesliedliteratur spielt die männliche Schönheit nämlich keine Rolle. Wie in der heutigen Werbung steht Frau im Mittelpunkt. Frauen als Werbeträger verkaufen einfach alles - von Waschmitteln über Autogasanlagen bis hin zu Versicherungen und Parkettböden. Bei Männern reicht es gerade noch für Unterhosen und Aftershaves.
Die aktuelle Busenbesessenheit nimmt erst in der Renaissance ihren Anfang (natürlich ohne Schönheits-OP und Brustimplantate). Das Mittelalter preist noch den kleinen festen Mädchenbusen (vgl. Hesekiel 23,21). In anderen Kulturen wird der Busen gar nicht erst beachtet3). (Und ich habe mich als Junge immer gefragt, warum niemand den Frauen afrikanischer Stämme sagt, dass sie „oben ohne“ rumlaufen!)
Der Kult um lange Frauenbeine (inklusive Nylonstrümpfen) begann im letzten Jahrhundert. Füßen dagegen galt zu allen Zeiten die modische, oft aber auch erotische Aufmerksamkeit. Das Streben nach Solariumsbräune ist kulturgeschichtlich betrachtet (mal ganz abgesehen vom Hautkrebsrisiko) widersinnig. Von jeher war die Geschichte der Kosmetik eine Geschichte der Haut-Aufhellung, und „vornehme Blässe“ - nicht das Braun der arbeitenden Unterprivilegierten - war der unan-gefochtene Wunschteint (vgl. Hohelied 1,6).
Und was soll man von Kulturen halten, die angehende Ehefrauen in Frauenhäuser stecken, damit sie dort ein paar Pfunde zulegen, während sich Bräute anderswo ins 34er-Model-Hochzeitskleid hineinhungern? Ich finde die dunkel tätowierten Lippen der Maori gewöhnungsbedürftig, nehme aber an, dass die Maori (zu Recht) dasselbe über meinen eher nachlässigen Umgang mit Fußnägeln sagen könnten (und dabei hätten sie meine Frau voll auf ihrer Seite!).
Halten wir fest: Schönheitsideale ändern sich. Sie sind der „Mode“ unterworfen. Vielleicht gibt es ein paar Konstanten4), aber auch viele Variablen. Über die Jahrhunderte und Kulturen hinweg sehen „schöne“ Menschen nicht gleich aus5).
Wie sollen wir als Christen mit Schönheitsidealen umgehen? Wir werden sie nicht ignorieren können, denn wir werden geprägt von der Gesellschaft, in der wir aufwachsen. Aber wir dürfen das vorherrschende Schönheitsideal nicht zum (alleinigen) Auswahlkriterium für den zukünftigen Ehepartner machen. Salomo hat recht, wenn er die Worte Lemuels zitiert: „Trügerisch ist Anmut und die Schönheit wie ein Windhauch; eine Frau, die Gott fürchtet, die soll man rühmen“ (Sprüche 31,30). Aussehen vergeht, der Charakter bleibt.
Und trotzdem dreht sich „Liebe“ auch um Schönheit. Oder um es noch ein bisschen deutlicher zu sagen: Millionen von Männern und Frauen begnügen sich mit einem Partner - und lieben ihn zutiefst -, der genau ihrer Vorstellung von Attraktivität entspricht. Deshalb ist Liebe unterm Strich irgendwie doch auch eine rationale Angelegenheit und passiert nicht willkürlich. Die Schönheit des potentiellen Partners (und nicht nur sein Charakter) entscheidet maßgeblich darüber, ob ich mich für ihn interessiere oder nicht6). Soweit ich sagen kann, gilt das auch für Christen und ist auch in Ordnung.
Aber gerade Männer stehen in der Gefahr ihre Ehepartnerin nach der Hochzeit an den retuschierten Bildern der Boulevardpresse-Schönheiten zu messen und Hollywood-Schönheiten allein wegen ihres Aussehens einen höheren Stellenwert zu geben als der eigenen Frau.
Dabei heißt die biblische Glücksformel: „Ich finde schön, was ich liebe.“ Oder noch ein bisschen genauer: „Ich erfreue mich an dem, was ich aufgrund meiner bewussten Entscheidung liebe.“
Der Leitvers zu dieser Glücksformel findet sich in Sprüche 5,18-19. Mit meinen Worten steht da: „Lass dich immer und immer wieder von den verführerischen Reizen deiner Frau überwältigen und bezaubern, bis dir förmlich die Sicherungen durchbrennen.“
Das ist viel mehr, als nur zu sagen: „Begehe keinen Ehebruch!“ Oder: „Geh nicht zu einer Prostituierten!“ Es ist auch mehr, als nur zu sagen: „Lass einfach der Natur ihren Lauf!“ Es ist eine Aufforderung - ein Gebot zum Handeln. Ehebruch und Treue beginnen im Kopf, deshalb besteht Gottes Herausforderung darin, dass wir uns eine Haltung zulegen, die unsere eigene Frau (bzw. den eigenen Mann) in den Mittelpunkt unserer Tagträume und sexuellen Phantasien stellt.
Wir müssen es lernen, das Lächeln der halbnackten Schönen vom Titelbild des TV-Magazins abzutun und beim Anblick unserer vom Schlaf zerzausten Frau in romantischen Träumereien zu schwelgen. Jeder Schwangerschaftsstreifen und jede Falte darf unser Herz zum Hüpfen bringen, während wir gleichzeitig beim Anblick von Miss Universum so viel empfinden wie für die Kartoffelschalen im Biomüll. Das ist Gottes Herausforderung an einen Ehemann (bzw. eine Ehefrau): Lass dich immer und immer wieder von den verführerischen Reizen deines Partners überwältigen und bezaubern, bis dir förmlich die Sicherungen durchbrennen.
Mode, Filme, Werbung und die für jedermann zugängliche Alltagspornografie via Internet und Männermagazin, aber auch Seifenopern und Ärzteromane wollen nur eines: unser Bild vom Traumpartner manipulieren.
Die Herausforderung Gottes annehmen heißt nun: Ich will selbst bestimmen, was ich sexuell attraktiv finde. Und ich habe mich dafür entschieden, dass nur mein Ehepartner meine Gedanken und Gefühle gefangen nehmen darf. Der Wahlspruch der Welt lautet: „Liebe ihn/sie, weil er/sie schön ist.“ Gottes Glücksformel heißt: „Finde schön, was du liebst. Erfreue dich an deinem Partner, weil du dich entschieden hast, ihn zu lieben.“
In der Bergpredigt stellt Jesus klar, dass Ehebruch mit Blicken und Gedanken anfängt (Matthäus 5,27-28). Es ist dieser Bereich der „fiktiven Unzucht“ (wo körperlich noch nichts gelaufen ist), der den sexuellen Appetit verdirbt. Viele verheiratete Männer lassen sich auf Pornographie (inkl. Selbstbefriedigung) ein und wundern sich dann, dass die Lust auf die eigene Frau allmählich abnimmt und einer grauenvollen Monotonie Platz macht. Wer so lebt, wird nicht glücklich.
Die Gesellschaft setzt Männlichkeit gleich mit der Menge Frauen, die ein Mann „herumgekriegt“ hat. Gott, der Erfinder unseres Sexuallebens, sieht es genau andersherum. Je mehr ein Mann es zulässt, dass fremde Frauen ihn von seiner Ehefrau weg verführen, desto unreifer und memmenhafter ist er. Männlichkeit ist die Fähigkeit, nicht von fremden Frauen, sondern von der eigenen Frau erregt zu werden. Jeder Mann hat nämlich gerade genug Liebe für eine Frau! Und es ist seine eigene Frau, die es verdient, diese Liebe zu bekommen!
Was für Männer gilt, gilt auch für Frauen. Erfreue dich an deinem Mann! Das Hohelied zeigt, dass die Frau einen aktiven Part in einem erfüllten Sexualleben spielt. Verabschiede dich nicht in eine Affäre oder in romantische Fantasien, sondern hilf deinem Mann, der Liebhaber zu werden, den du dir erträumst. Das meint die Bibel, wenn sie dich als „Gehilfin“ bezeichnet. Dein Mann braucht deine Hilfe, um ein romantischer Ehemann zu werden. Männer sind „dumm“. Sie verstehen Frauen nicht intuitiv, sondern brauchen Nachhilfeunterricht. Sag ihm, was du willst, und er wird es überglücklich tun7). Mit der Zeit wird er dich besser verstehen und besser von allein (oder weil ihn sein Terminkalender daran erinnert) auf deine Bedürfnisse eingehen. Das ist die Liebe, zu der Männer fähig sind, und es ist wahre Liebe. Ein Mangel an Intuition ist kein Mangel an Liebe!
Die biblische Glücksformel heißt: „Ich erfreue mich an dem, was ich aufgrund meiner bewussten Entscheidung liebe.“ Und deshalb kann ich meinem Partner immer wieder sagen und schreiben, dass er schön ist. Ich kann das auch noch sagen, wenn er älter wird. Ich spreche dann nicht als Vertreter eines gesellschaftlich anerkannten Schönheitsideals, sondern als Liebhaber, der schön findet, was er liebt. Wie ein Blick auf die Schönheitsideale aller Zeiten zeigt, befinde ich mich mit meiner subjektiven Einschätzung in guter Gesellschaft. Es ist keine Lüge, wenn meine Frau mit Lippenstift an den Badezimmerspiegel schreibt: „Du bist schön.“ Sie hat entschieden, mich mit meinen Senk-Spreiz-Füßen, den schielenden Augen und dem Übergewicht zu lieben und schön zu finden8). Ist das nicht wunderbar?
Nachtrag: Wer erleben will, wie subjektiv Schönheit ist, der mag einmal darüber nachdenken, wie er die Schönheit seines Partners während des Beischlafs erlebt. Ist es nicht so, dass der Partner in dem Maß schöner wird, in dem wir ihn genießen. Ist im Moment des Höhepunktes nicht jeder Ehepartner ultimativ schön? Diesen Eindruck einzufangen und zu kultivieren, das ist es, was Gott von uns will.

1)
Amüsant liest sich als Einführung in das Thema: Ulrich Renz: Schönheit. Eine Wissen-schaft für sich, Berlin Verlag, 2006. Ich habe viele Informationen zum Thema aus diesem Buch.
2)
Das gilt für Männer wie auch für Frauen.
3)
Das gilt ansatzweise auch für die Bibel. Die Brust oder der Busen ist in erster Linie das Organ, mit dem Kinder gestillt werden (1Mose 49,25; 1Könige 3,20; Hiob 3,12; Lukas 11,27), und dann erst der Ort, an dem der Liebhaber sich berauscht (Sprüche 5,19-20; Hohelied 7,9).
4)
Hier denke ich daran, dass Paulus in 1Korinther 11,14-15 davon spricht, dass lange Haare für den Mann eine „Schande“ (das heißt nicht Sünde!) und für die Frau eine „Ehre“ sind. Gott hat sie der Frau als natürliche Stola (eine bessere Übersetzung als das Wort „Schleier“, das in manchen Bibelübersetzungen verwendet wird) mitgegeben. Langes Haar schmückt Frauen auf besondere Weise. Dass diese Einschätzung weltweit geteilt wird, zeigt sich jedes Jahr bei den Miss World-Wahlen, aber auch durch ungezählte Skulpturen, Gemälde und Werbeplakate, auf denen schöne Frauen überdurchschnittlich oft mit langen Haaren abgebildet werden.
6)
Männer aufgepasst: Frauen gehen dabei nicht nur nach dem Aussehen, sondern auch nach dem Prestige. Anders ausgedrückt: Hübsche Frauen heiraten weniger hübsche Männer, wenn diese angesehen sind (oder Geld haben).
7)
Ein Tipp: Verwende nicht Worte wie: „Könntest du …“, sondern formuliere klar und zeitlich begrenzt. Also nicht: „Könntest du mal den Müll runter bringen?“, sondern „Bitte bring heute noch den Müll runter.“ Die zweite Formulierung klingt forscher, ist aber eindeutiger und zeigt mir, welchen Spielraum ich habe, um meine andere noch anstehende Arbeit zu erledigen.
8)
Hinzu kommt der Aspekt der Genügsamkeit. Die Idee, sich an dem zu freuen, was man hat, ist allgegenwärtig. Wo kämen wir hin, wenn wir uns nur dann freuen könnten, wenn wir das Allerbeste haben? Ich habe nicht die intelligentesten Kinder, trinke nicht den besten Whisky, besitze keine Stereoanlage der Extraklasse usw. Und trotzdem genieße ich, was ich habe. Das „fröhliche Herz hat ein ständiges Festmahl“ schreibt Salomo in Sprüche 15,15. Ich entscheide jeden Tag neu, ob ich mein Leben als halb leeres oder halb gefülltes Glas sehen will. Meine Einstellung entscheidet darüber, ob ich in meiner Frau die bezaubernde Liebe meines Lebens erblicke oder nur eine durchschnittlich hübsche Blondine mit einem süßen, für Hessinnen typischen Sprachfehler.