Geschichtlicher Hintergrund

Das Buch Habakuk gehört zu den kleinen Propheten des Alten Testaments. Um seine Botschaft zu verstehen, müssen wir uns die Geschichte Israels nach der Wegführung des Nordreiches im Jahr 722 v.Chr. durch die Assyrer vor Augen halten.
Im Jahr 701 steht der assyrische König Sanherib vor den Toren der Stadt und fordert Hiskia zur Kapitulation auf. In dieser schwierigen Stunde vertraut der jüdische König auf seinen Gott und der HERR vernichtet die gegnerische Armee in einer Nacht. Hiskia ist ein Mann des Glaubens, aber er gibt seinen Glauben nicht an seinen Sohn Manasse weiter.
Mit Manasse (687-642 v.Chr.) bekommt Juda einen König, der in seiner 55jährigen Regierungszeit „tat, was böse war in den Augen des HERRN“ (2Könige 21,2). Seine Regierungszeit ist von Götzendienst der schlimmsten Sorte geprägt. Im Tempel in Jerusalem werden fremden Göttern Altäre gebaut, Manasse opfert seinen Sohn, treibt Zauberei sowie Geisterbeschwörung (2Könige 21,3-9) und vergießt unschuldiges Blut, „bis er Jerusalem damit anfüllte von einem Ende bis zum anderen“ (2Könige 21,16). Manasses Taten besiegeln das Schicksal von Jerusalem und Juda. Hatte Hiskias Glaubensgebet die assyrische Armee vertrieben, so wird Manasse durch Assurbanipal gezwungen, ihn bei einem Feldzug nach Ägypten zu unterstützen. Hier sehen wir das die Geschichte Israels durchziehende Prinzip: Wenig Glaube – viel Fremdherrschaft. Gegen Ende seines Lebens erreicht Manasses Leben einen Tiefpunkt. Die Heerobersten des Königs von Assyrien nehmen ihn gefangen und verschleppen ihn nach Babel1). Diese absolute Demütigung versetzt dem stolzen König einen solchen Schreck, dass er Buße tut und zu Gott umkehrt. In 2Chronik 33,12.13 lesen wir: „Und als er so bedrängt war, flehte er den HERRN, seinen Gott, an und demütigte sich sehr vor dem Gott seiner Väter und betete zu ihm. Und er2) ließ sich von ihm erbitten und erhörte sein Flehen und brachte ihn nach Jerusalem in seine Königsherrschaft zurück. Da erkannte Manasse, dass der HERR der <wahre> Gott ist.“ Die letzten vielleicht fünf Jahre seiner Königsherrschaft sind von strategischen Bauprojekten und religiösen Reformen geprägt (2Chronik 33,14-17). Trotz seines guten Endes sollten Manasses Taten nachwirken und wegen seiner bösen Taten kam Gottes Gericht über Israel (2Könige 23,26; 24,3).
Manasses Sohn Amon (643-641 v.Chr.) regiert nur zwei Jahre in Jerusalem, hat aus den Fehlern seines Vaters nichts gelernt und wird ermordet. An seiner statt wird sein achtjähriger Sohn Josia von dem „Volk des Landes3)“ (2König 21,24; 2Chronik 33,25) zum König ernannt.
Über die frühen Regierungsjahre von Josia (640-609 v.Chr.) wissen wir nichts. Mit 16 Jahren „fing er an, den Gott seines Vaters David zu suchen“ (2Chronik 34,3). Als er etwa 20 Jahre alt war, beseitigt er die Götzenbilder in Juda und Jerusalem und in den von Assyrien beherrschten nördlichen Gebieten des alten Israel (2Chronik 34,4-7). Josia hatte den Glauben, den Mut und die Stärke die religiöse Tradition des Götzendienstes auszurotten, die für den größten Teil der vergangenen 60 Jahre das Leben der Israeliten bestimmt hatte. Er tut diesen Schritt ein paar Jahre bevor (!) im Tempel das „Buch des Gesetzes“ (2Chronik 34,14) gefunden wird.
Im Jahr 627 v.Chr. stirbt Assurbanipal und mit ihm geht eine Ära 100jähriger, assyrischer Vorherrschaft über Israel zu Ende. Innerhalb von zwei Jahrzehnten zerfällt das assyrische Großreich und die Babylonier werden zur neuen Weltmacht, die das Zwei¬stromland bis Ägypten beherrscht. 612 v.Chr. wird Ninive, die prächtige Hauptstadt des assyrischen Großreiches, zerstört (Karte siehe am Ende des Abschnitts).
In dieser Zeit des Umbruchs konnte Josia relativ frei von jeglicher assyrischer Bevormundung die Politik machen, die ihm vorschwebte. Es ist interessant, dass die geistliche Stärke eines Josia mit der politischen Schwächung Assyriens einhergeht, während die geistliche Schwäche seines Großvaters Manasse mit der politischen Stärke Assyriens zusammen fiel.
622 v.Chr. wird das „Buch des Gesetzes“ entdeckt (2Könige 22,8) und verleiht Josias Reformen einen ungeheuren Schub (2Könige 23,1-24), sodass es am Ende über ihn heißt: „Vor Josia gab es keinen König wie ihn, der zu dem Herrn umgekehrt wäre mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft nach dem ganzen Gesetz des Mose.“ (2Könige 23,25).
Josia stirbt auf dramatische Weise 609 v.Chr. in einem Feldzug gegen die Ägypter (2Chronik 35,22-24). Das Volk weint und Klagelieder werden angestimmt, aber Gottes Zorn weicht trotz dieses großartigen Königs nicht von Israel. Der Untergang Jerusalems und die Verschleppung Israels sind beschlossene Sache (2Könige 23,26.27). Gott wollte die Sünden Manasses nicht vergeben (2Könige 24,4).
Die weitere Geschichte Israels ist schnell erzählt. Drei Söhne und ein Enkel Josias folgen noch auf den Thron:

  • 609 v.Chr. Joahas (anderer Name: Schallum)
  • 609-598 v.Chr. Jojakim
  • 598-597 v.Chr. Jojachin4) (andere Namen: Jechonja, Konja)
  • 597-586 v.Chr. Zedekia

Alle vier tun, „was böse war in den Augen des HERRN“. Sie hatten nichts von Josia gelernt5). Vor ihren Augen zerbricht das Reich Israel und verschwindet mit der Deportation des Volkes und der Zerstörung Jerusalems (inklusive des Tempels, 586 v.Chr.) von der Landkarte.
Habakuk spricht in die Zeit von 608-605 v.Chr. hinein, als das erstarkende Babylon sich anhebt, Weltmacht zu werden, die Ägypter aber noch bis zur Schlacht bei Karkemisch (605 v.Chr.) gegenhalten. Die gottlosen Könige Israels sind hilflos und bedeutungslos. Sie können nicht mehr als den Entwicklungen zusehen.
Joahas wird von Necho, dem ägyptischen Pharao, gefangen genommen, nach Ägypten deportiert und durch den Marionettenkönig Jojakim ersetzt (2Könige 24,33-35; vgl. Jeremia 22,11.12). Israel wird Ägypten tributpflichtig. Aber Ägyptens Einfluss schwindet: 607 v.Chr. steht Nebukadnezar das erste Mal vor den Toren Jerusalems (2Könige 24,1; Daniel 1,1) und Jojakim wird „sein Knecht“. Nach drei Jahren schüttelt er das Joch Babylons wieder ab, aber „der HERR sandte gegen ihn Streifscharen der Chaldäer6) und Streifscharen Arams und Streifscharen Moabs und Streifscharen der Söhne Ammon. Er sandte sie gegen Juda, um es zugrunde zu richten…“. (2Könige 24,2) Die Zeit Jojakims ist von königlicher Verschwendungssucht, Unrecht, Ausbeutung, Unter¬drückung, Erpressung und ungerechtem Gewinn geprägt (Jeremia 22,13-17), sodass Gott ihm ein „Eselsbegräbnis“ verheißt: „…man wird ihn fortschleifen und wegwerfen, weit weg von den Toren Jerusalems.“ (Jeremia 22,19) Er stirbt wahrscheinlich als Gefangener in Babylon (2Chronik 36,6). Unter Jojachin findet 597 v.Chr. die nächste Belagerung statt. Der König ergibt sich, aber er und seine Familie und 10.000 Bürger Jerusalems (v.a. Hofbeamte, die Oberste, die kriegstüchtigen Männer und die Handwerker) werden nach Babylon verschleppt, die Stadt selbst wird geplündert und Nebukadnezar, jetzt König von Babylon, setzt Zedekia, einen weiteren Sohn Josias, als König ein.
In einer Zeit des Unrechts und der Gottlosigkeit bringt der Prophet Habakuk einem Volk an der Grenze zum nationalen Desaster eine einzige Botschaft: Glauben ist Leben!


„Siehe die verdiente Strafe für den, der nicht aufrichtig ist! Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.“ Habakuk 2,4


Die Hoffnung auf Rettung für das Volk als Ganzes ist dahin. Mit den Babyloniern bricht Gottes Gericht über Israel herein, aber Gott sieht den Einzelnen. Es gibt in diesen düsteren Zeiten Rettung, aber nur für den, der glaubt.

1)
O. Babylon.
2)
damit ist Gott gemeint
3)
Wir wissen nicht genau, wer sich hinter dieser Formulierung „Volk des Landes“ verbirgt. Naheliegend ist, an eine sozial privilegierte und politisch aktive Gruppe von Landbesitzern zu denken, die sich aktiv an dem Erhalt von Recht und Ordnung beteiligte und über erheblichen politischen Einfluss verfügte.
4)
Mit Jojachin haben wir den letzten König Israels aus der Linie Davids vor uns. 37 Jahre später wird er im Exil als 55jähriger noch einmal zu Ehren kommen (2Könige 25,27-30).
5)
Was natürlich verwundert! Wir wissen nicht, warum ein gottesfürchtiger Josia so gottlose Söhne hervorbringt. Vielleicht lag es daran, dass er schon früh verheiratet wurde. Mit 16 hatte er bereits mindestens zwei Frauen und zwei Söhne. Vielleicht sind das keine optimalen Voraussetzungen, um Söhne gut zu erziehen, aber eine Warnung steckt doch in Josias Biographie! Geistlichkeit und Einsatz für das Reich Gottes ist kein Ersatz für eine brauchbare, geistliche Erziehung der eigenen Kinder.
6)
Ein anderes Wort für Babylonier.