Markus 4,12: Redet Jesus bewusst in Gleichnissen, damit Menschen nicht gläubig werden?

Es wäre sehr merkwürdig, wenn man die Frage mit „ja“ beantworten müsste. Denn schließlich ist Jesus gekommen, die Menschen zu retten und nicht, um sie zu verwirren. Trotzdem klingt es erst einmal so, als würde Jesus bewusst Gleichnisse einsetzen, damit sich nicht die falschen Menschen bekehren. Und das verblüfft, weil man doch denkt, dass es Jesus egal ist, wer sich bekehrt, hauptsache die Bekehrung ist echt! Und natürlich ist das auch richtig. Jesus freut sich über echte Bekehrungen, hat aber ein großes Problem mit falschen. Und Jesus ist jene Art charismatischen Leiters, der schon allein aufgrund seiner Predigten und Wunder alle Arten von Menschen dazu bringen kann, sich zu „bekehren“. Jesus steht überhaupt nicht in der Gefahr zu wenig Nachfolger zu haben, sondern zu viele der falschen! Wenn er seinen Jüngern sagt, „euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil“, dann unterscheiden sich die Jünger von denen „die draußen sind“ nur in einer Sache: Sie fragen Jesus, was die Gleichnisse bedeuten, weil sie ein tiefes Interesse daran haben, von Jesus Dinge über Gott zu lernen! Sie haben auch (oft!) nicht verstanden, was Jesus mit den Gleichnissen sagen wollte, aber sie lassen sich auf einen Dialog mit dem Lehrer ein – sie wollen verstehen. Die Funktion von Gleichnissen besteht also darin, dass der Lehrer aus der Menge der Zuhörer per Gleichnis die herausfiltert, die ein Interesse am tieferen Verstehen haben. Jesus will keine Fans, sondern geistliche Nachfolger. Jüngerschaft hat mit Lernen, und Lernen in der Antike wiederum viel mit eigenem Nachdenken zu tun (Stichwort: Sokratische Diskussion). Und in diesem Sinn will Gott tatsächlich nicht, dass sich Menschen aus den falschen Motiven bekehren. Bekehrung ist ein sehr bewusster, aktiver Schritt, den man nicht aus reiner Begeisterung für eine religiöse Erfahrung oder eine vollmächtige Predigt gehen soll. Deshalb die Gleichnisse. Sie zwingen die wirklich Interessierten, beim Lehrer nachzufragen. Wer nachfragt, offenbart auf diese Weise, was in seinem Herzen ist. Wer nicht nachfragt, offenbart auch etwas: dass ihm nämlich mehr an dem Spektakel um Jesus als an der Person Jesu und seiner Botschaft selbst gelegen ist. Somit trennen die Gleichnisse zwischen denen, die Jesus wirklich verstehen wollen und ein ehrliches Interesse an der Wahrheit haben und denen, die mit einer oberflächlichen Event-Religion zufrieden sind.

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