Malta, Melite oder doch Kephallenia?

Ist Melite wirklich Malta?

„Als aber die vierzehnte Nacht gekommen war und wir im Adriatischen Meer umhertrieben, meinten gegen Mitternacht die Matrosen, dass sich ihnen Land nahe.“ (Apostelgeschichte 27,27)

„Und als wir gerettet waren, da erfuhren wir, dass die Insel Melite heiße.“ (Apostelgeschichte 28,1)

Entnommen und gekürzt aus: http://www.bleki.de/mbg/16/0754.html

Die Frage „War Paulus auf Malta?“ ist sicher keine Frage, die für unser Heil wichtig und für unser Leben als Christen zentral ist. Sie gehört vielmehr zu den Randfragen. Doch werden wir andererseits sehen, dass sie für das Verständnis der Schilderungen in der Apostelgeschichte sowie für die zeitliche Einordnung (Datierung) der Briefe an Timotheus und Titus nicht unwesentlich ist. Vor allem sehen wir, dass wir zu ganz anderen Ergebnissen kommen, wenn wir von der Zuverlässigkeit des Wortes Gottes ausgehen und es ernst nehmen, wie es geschrieben steht.

In vielen Bibelausgaben wird die in Apostelgeschichte 28,1 genannte Insel „Melite“ mit „Malta“ gleichgesetzt, indem gleich so übersetzt oder dieser Name so erklärt wird. Auch auf biblischen Landkarten wird Malta als Ort des Schiffbruchs bei der Romreise des Paulus angegeben. „Melite“ ist jedoch keine eindeutige Bezeichnung für Malta. Es gab im Altertum mehrere Orte, die diesen Namen hatten, und zwar entweder als Hauptnamen, wie die Inseln „Malta“ und „Mljet“, oder als Nebennamen, wie die Insel „Samothrake“.

Im Lauf der Kirchengeschichte konkurrierten die beiden Inseln „Mljet“ und „Malta“ darin, der Strandungsort des Paulus zu sein. Zunächst wurde die süddalmatische Insel „Mljet“ offiziell als das Melite der Apostelgeschichte betrachtet. Dann setzte sich Malta durch, jedoch nicht durch sachlich bessere Gründe, sondern mittels stärkerer Lobby:

Der Johanniter-/Malteserorden, der 1530 von Kaiser Karl V. Malta als Lehen erhielt, verwendete die Tradition von dem Schiffbruch des Paulus auf Malta zur Förderung seiner Interessen.

Ab 1814 bis 1964 war Malta britische Kronkolonie. Zuvor hielten die britischen Wissenschaftler, wie auch die protestantischen Wissenschaftler anderer Staaten, die Insel Mljet für den Strandungsort des Paulus. Nachdem Malta aber britisch geworden war, schwenkten sie von der „Mljet-“ zur „Malta-Theorie“ um. Seit ca. 150 Jahren gilt so Malta mehr und mehr auch im Protestantismus als das Melite der Apostelgeschichte.

Gründe, die gegen Malta als Ort des Schiffbruchs sprechen

Malta liegt nicht im „Adriatischen Meer“, sondern im Libyschen Meer. Darum wurde es im Altertum auch vielfach „Melita africana“ genannt. Malta wurde zu Afrika gerechnet und erst ab dem 19. Jh. zu Europa. Wenn wir nun die Ortsangabe in Apostelgeschichte 27,27 ernst nehmen, kann Malta schon allein darum gar nicht der Ort des Schiffbruchs des Paulus und seiner Begleiter gewesen sein. Im Altertum unterschied man zwischen der „inneren Adria“ - das ist die eigentliche Adria - und der „äußeren Adria“. Zur äußeren Adria wurde auch das „Ionische Meer“, welches zwischen Kalabrien (Süditalien) und der Balkanhalbinsel liegt, gerechnet. Dort haben wir die Insel Melite zu suchen.

Malta gehörte zur römischen Provinz Sizilien. Die Sizilianer erhielten im Jahr 44 v. Chr. das römische Bürgerrecht. Ob Malta dieses Bürgerrecht gleich mit erhielt, ist nicht ganz gesichert. Die Malteser besaßen es aber im Jahr 30 v. Chr. und galten darum 59 n. Chr. - wahrscheinliches Jahr der Romreise des Paulus - nicht mehr als „Barbaren“ (zu Apostelgeschichte 28,2.4). Die meisten Volksgruppen Nordwestgriechenlands, sowohl auf dem Festland als auch auf den vorgelagerten Inseln, wurden jedoch als Barbaren bezeichnet.

Paulus wurde auf Melite von einer Sandviper (griechisch: Echidna) in die Hand gebissen (Apostelgeschichte 28,3). Auf Malta gab und gibt es jedoch keine Sandvipern, auch keine anderen Giftschlangen. Diese gibt es aber auf den westgriechischen (bzw. ionischen) Inseln. Eine Gruppe kleiner Inseln am Golf von Patras hat daher ihren Namen „Echinaden“.

Auf Melite fanden sie ein alexandrinisches Schiff, „das auf der Insel überwintert hatte“. Mit diesem Schiff verließen sie nach drei Monaten die Insel (Apostelgeschichte 28,11). Malta diente aber nicht zum Überwintern ägyptischer Getreideschiffe, denn es lag gar nicht an ihrer Route von Alexandrien nach Rom. Diese führte zunächst, wenn der Wind es zuließ, nordwestwärts nach Kreta. Von Kreta ging es dann zur Südwestspitze des Peloponnes, sodann über die westgriechischen Inseln (Kephallenia) entweder nach Syrakus (Sizilien), Regium (Süditalien) und Puteoli oder direkt nach Regium und Puteoli.

Mit gestrichenen Segeln und ausgeworfenen Treibankern konnte das Schiff keine 500 Seemeilen (über 920 km) in 14 Tagen westwärts driften (Apostelgeschichte 27,17), zumal im zentralen Mittelmeerraum eine ganzjährige Oberflächenströmung (1,5 bis 2,0 sm = 2,8 bis 3,7 km/h) von West nach Ost fließt. Weil die verdunstete Wassermenge im Mittelmeer durch Zuflüsse und Regen nicht ausgeglichen wird, fließt vom Atlantik her eine beständige Strömung durch die Straße von Gibraltar ein. Gegen diese Strömung müsste also das Paulus-Schiff von Kreta nach Malta getrieben sein.

Berücksichtigt man die beiden Faktoren Entfernung (über 920 km von der Insel Klauda aus) und West-Ost-Strömung (2,8 bis 3,7 km/h), dann müsste das Schiff eine Reisegeschwindigkeit von ca. 140 bis 160 km täglich gehabt haben. Dies war ohne gehisste Segel und mit Treibankern unmöglich.

Fazit: Die Angaben der Apostelgeschichte zur Geographie („in der Adria“), zur Bevölkerung („Barbaren“), zur Fauna („Sandviper“) und zur Seefahrt (Ort des Überwinterns) sowie weitere Gründe (Entfernung, Strömung im zentralen Mittelmeer, Treiben ohne Segel) sprechen gegen Malta.

Hauptgrund gegen Mljet

Die Reise nach Rom wurde über die sizilianische Hafenstadt Syrakus fortgesetzt (Apostelgeschichte 28,11-14); hierzu liegt Mljet zu weit nördlich. Die ägyptischen Getreidefrachter fuhren zum überwintern gewiss nicht so weit nach Norden, sondern suchten einen geeigneten Hafen auf, der an ihrer Route nach Sizilien oder nach einem der drei Frachthäfen Roms lag.

Weitere Gesichtspunkte

Es gibt keinen außerbiblischen Beleg, dass ein im Seeraum Kretas in Seenot geratenes Segelschiff in die Nähe Maltas getrieben worden sei. Vielmehr treibt ein über den Mittelmeerraum von West nach Ost hinziehendes herbstliches Sturmtief ein solches Schiff von Kreta aus nordwestwärts ins Ionische Meer. Dieses wurde damals zur äußeren Adria gerechnet. Dort liegen die westgriechischen oder ionischen Inseln, von denen Kephallenia die größte (743 qkm) und höchste (Aenos = 1628 m) ist. Die Küsten dieser Inseln fallen steil ins Meer ab, mit Ausnahme der Südwestküste Kephallenias. Die dort vor dem Livadi-Golf liegende Flachsee ist durchschnittlich 30 m tief und 20 qkm groß. Hierher passen die Lottiefe (Apostelgeschichte 27,28), Riffe und Ankergrund (Apostelgeschichte 27,29) und die sonstige Beschaffenheit des Strandungsortes: Bucht, Landzunge und Sandstrand (Apostelgeschichte 27,39-40). Hinter der 5 km langen Landzunge von Argostoli liegt eine schlauchartige 4 km lange Bucht, in der Schiffe sehr gut überwintern konnten (vgl. Apostelgeschichte 28,11).

Frage: Warum erkannten die Seeleute diese sehr markante und vielgenutzte Insel nicht (vgl. Apostelgeschichte 27,39)? - Weil die westgriechischen Inseln in der herbstlichen Witterung oft durch Wolken und Nebel so stark verhüllt werden, dass man die Landschaft nicht mehr erkennen kann. Infolge der trüben Witterung war die Besatzung des Paulus-Schiffs ohne genaue Orientierung (Apostelgeschichte 27,20). Bei klarer Sicht jedoch hätten sie die Insel Kephallenia wegen des 1628 Meter hohen Aenos schon aus 154 km Entfernung sehen können.

Wir haben keinen antiken Beleg, dass Kephallenia auch den Namen „Melite“ hatte. Von daher könnte es auch eine der anderen Inseln im Ionischen Meer gewesen sein. Es müssten dann aber alle Angaben und Beschreibungen, die Lukas vom Ort des Schiffbruchs gibt, auf diese zutreffen. Gibt es dort aber keine andere Insel, auf welche die Angaben des Lukas zutreffen, müssen wir davon ausgehen, dass es die Insel Kephallenia gewesen ist. Diese hätte dann nach Apostelgeschichte 28,1 damals auch den Namen „Melite“ gehabt.

Die angebliche Strandungsstelle des Paulus auf Malta, die sogenannte Paulus-Bucht, hat übrigens auch nicht die Beschaffenheit, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben wird.

Wo lag der Hafen Phönix?

Nach Apostelgeschichte 27,12 ist „Phönix“ ein Hafen, der nach Südwesten und Nordwesten blickt, also nach dorthin offen ist. Um aber in westliche Richtung, genauer von Südwest bis Nordwest, offen zu sein, müsste dieser Hafen an der kurzen Westküste Kretas liegen und nicht, wie auf vielen biblischen Landkarten eingezeichnet, an der Südküste. Auf Kreta gibt es aber keinen Hafen, welcher der präzisen Angabe des Lukas entspricht. - Was ist die Lösung für dieses Problem? Die Bezeichnung „Hafen Kretas“ meint hier nicht einen Hafen auf Kreta, auch nicht von Kreta, sondern „für Kreta“, d. h. einen für den Seeverkehr von und nach Kreta wichtigen Hafen. Den Hinweis, dass diese Auffassung richtig ist, finden wir in Apostelgeschichte 27,21. Dort tadelte Paulus nicht eine kleine Fahrt längs der Küste Kretas von einem Hafen zum andern, sondern den Aufbruch von Kreta weg.

An der Südspitze Messeniens (Peloponnes) liegt der Hafen „Phoinikus“. In unmittelbarer Nähe liegen an der Westseite noch die Häfen Methone und Pylos. Diese Häfen waren für die von Kreta westwärts segelnden Schiffe stets die erste Etappe. Die Bucht von Navarino (= Bucht von Pylos) diente für diese drei Städte als gemeinsamer Winterhafen. Sie ist von Nord nach Süd 5 km lang und von Ost nach West 4 km breit. Nach Westen zum Ionischen Meer hin wird sie von einer schmalen, 4 km langen und bis 157 m hohen Insel abgeschirmt. Dadurch ist sie zum Überwintern gut geeignet. Außerdem ist sie, wie Lukas es beschrieben hat, nur nach Südwest und Nordwest offen. Diese Bucht hofften sie also zu erreichen, als trotz der Warnung des Paulus die Mehrheit sich entschloss, von Kreta aufzubrechen.

Überwinterung in Nikopolis

In den Pastoralbriefen - das sind 1. und 2. Timotheusbrief und Titusbrief - macht Paulus einige Aussagen, die den Auslegern Probleme bereiten. Sie können diese nämlich nicht mit der Biographie des Apostels, wie wir sie in der Apostelgeschichte und in seinen übrigen Briefen finden, in Einklang bringen. Hierzu ein Beispiel: In Titus 3,12 schreibt Paulus dem Titus: „Wenn ich Artemas oder Tychikus zu dir senden werde, so beeile dich, zu mir nach Nikopolis zu kommen, denn ich habe beschlossen, dort zu überwintern“. Die Frage ist nun: Wann wollte Paulus nach Nikopolis? Nach der uns bekannten Biographie können wir dies nicht einordnen. Paulus war außer in Judäa und Umgebung auf Zypern und Kreta, in Kleinasien, Mazedonien und Ostgriechenland. Wann aber war er an der westgriechischen Küste, wo die Stadt Nikopolis liegt?

Je nach innerer Einstellung der Ausleger ist die Antwort auf diese Frage unterschiedlich:

Bibelkritische Wissenschaftler sehen darin einen Beweis, dass die Pastoralbriefe nicht von Paulus geschrieben seien.

Bibelgläubige Wissenschaftler weichen meist auf eine 4. Missionsreise des Paulus nach seiner (ersten) Gefangenschaft in Rom aus.

Scofield z. B. behandelt diese Frage in der nach ihm benannten Bibelausgabe. So schreibt er in der Einleitung zum 1. Timotheusbrief, dass die Datierung dieses Briefes die Frage nach den zwei Gefangenschaften des Paulus aufwirft. Ist dem so, dann sei der Brief in der dazwischenliegenden Zeit geschrieben. Gab es aber nur eine Gefangenschaft des Paulus in Rom, dann sei der Brief kurz vor der letzten Reise nach Jerusalem geschrieben. Wann wollte nun Paulus in Nikopolis überwintern? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so schwierig, wenn wir statt Malta die Insel Kephallenia als Ort des Schiffbruchs ansehen. Dann zeigt uns ein Blick auf die Landkarte, dass Nikopolis von dort nicht weit entfernt ist.

Nach dem Schiffbruch standen der Hauptmann Julius und seine Soldaten sicherlich vor der Frage: Wollen wir den ganzen Winter über - d. h. etwa ein halbes Jahr bis Anfang April - auf „Melite“ bleiben, oder sollen wir versuchen, so bald wie möglich rüber aufs Festland zukommen und nach Nikopolis zu gelangen? Nikopolis war nämlich eine römische Garnisonsstadt. Und da Julius dem Paulus wohlgesonnen war (Apostelgeschichte 27,3.43), stellte er ihn vielleicht vor die Wahl, mit ihnen nach Nikopolis zu gehen oder mit geringer Bewachung bis zur Weiterfahrt auf „Melite“ zu bleiben. Nachdem Paulus sich entschlossen hatte, mitzugehen, schrieb er in seinem Brief an Titus den Wunsch, doch eilends zu ihm nach Nikopolis zu kommen.

Die Schiffahrt ruhte im Winterhalbjahr nicht gänzlich. Es hing von der Art der Ladung und von dem Wagemut der Besatzung ab. Vor allem auf kurze Distanz und im küstennahen Bereich fuhren, wann immer die Witterung es zuließ, noch Schiffe. So konnte Paulus dem Titus schreiben und dieser versuchen, von Kreta aus (vgl. Titus1,5) zu ihm zu kommen.

Nicht alles, was Paulus sich vornahm, konnte er auch in die Tat umsetzen. So ist nicht sicher, dass er wirklich nach Nikopolis gekommen ist. Denn wir erfahren, dass sie bereits nach drei Monaten, d. h. im Januar, die Reise fortsetzten. In der ersten Januarhälfte stellt sich dort in der Regel eine kurze Periode der Wetterberuhigung ein. Diese nutzte der Kapitän des alexandrinischen Schiffes, um von „Melite“ nach Syrakus hinüberzufahren. So gelangten sie schließlich nach Rom.

Alternative Reiseroute aus https://www.die-apostelgeschichte.de/lehrveranstaltungen/vorlesung/Kapitel10.pdf

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