1,11 Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Nationen. Und an allerlei Orten lässt man <Opfer>rauch aufsteigen und bringt meinem Namen <Gaben> dar, und zwar reine Opfergaben. Denn mein Name ist groß unter den Nationen, spricht der HERR der Heerscharen.

Gott braucht die Anbetung Israels nicht! Ihre minderwertigen Opfer stehen in krassem Gegensatz zum Opferrauch, den reine Opfergaben auf der ganzen Welt, vom Aufgang der Sonne im Osten bis zu ihrem Untergang im Westen aufsteigen lassen.
Es sind die Nationen, die Heiden, die an allerlei Orten dem heiligen Namen Gottes Gaben opfern und Gott selbst groß machen. Sie, die nicht privilegiert sind wie Israel, denen nicht die „Sohnschaft […] und die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der Dienst und die Verheißungen“ (Römer 9,4) zuteil wurden, sie verherrlichen Gott auf eine Weise, die dem HERRN der Heerscharen gefällt, während an dem Ort, den er erwählt hat, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (in Jerusalem), Heuchler minderwertige Opfer bringen, die Gott missfallen.
Es gibt rechte Gottesverehrung über die Grenzen Israels hinaus. Und die Israeliten hätten das wissen können, denn Gottes Königsherrschaft war nicht auf sie beschränkt. Der Psalmist kann singen: „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobt der Name des HERRN! Hoch über alle Nationen ist der HERR über die Himmel seine Herrlichkeit.“ (Psalm 113,2.3)
Wie können Nationen reine Opfergaben darbringen? Maleachi meint hier bestimmt nicht den im Götzendienst verstrickten Heiden, der z.B. seine Kinder dem Moloch opfert oder seine Tochter der Kultprostitution ausliefert. Das ganze Alte Testament verabscheut solche „Gaben“ (3Mose 18,21; 5Mose 23,18). Ein solcher Götzendiener ist Gott ein Gräuel, egal mit wie viel „Aufrichtigkeit“ und „Hingabe“ die Anbeter ihren Opfern nachkommen (3Mose 18,24-30).
Vielleicht können uns Römer 2 und Offenbarung 14 weiterhelfen: In Römer 2 beantwortet Paulus die Frage, nach welchen Prinzipien Gott die Menschen richten wird. Das Fazit findet sich in Römer 2,11: „… es ist kein Ansehen der Person bei Gott.“ Und dann führt der Apostel aus, dass nicht die „Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott“ sind, sondern „die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden“ (Römer 2,13). Und er fährt im Blick auf Heiden fort: „Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben1), von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. Sie beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist…“ (Römer 2,14.15). Ich denke, dass Paulus hier einen realen Fall anspricht. Es gibt Heiden, die haben das „Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben“, d.h. das vom Gesetz geforderte Verhalten2) findet sich in ihrem Denken und Handeln3). Sie leben so „von Natur“ aus (Römer 2,14), besitzen also eine in ihrem Wesen verankerte Moral und handeln danach.Paulus spricht m.E. von bekehrten Heiden, die nicht durch das Gesetz Israels, sondern durch das Betrachten der Schöpfung in Verbindung mit ihrem Gewissen zu einer Beziehung zu Gott durchgedrungen sind.
Ähnliches lesen wir in Offenbarung 14. In der Zeit größter Verfolgung der Gläubigen verkündet ein Engel das „ewige Evangelium“ (Offenbarung 14,6), um die Menschheit zur Buße zu bringen. Dieses Evangelium wird „jeder Nation und jedem Stamm und […] jedem Volk“ verkündigt.“ (Offenbarung 14,6). Der Inhalt dieses „ewigen Evangeliums“ ist hoch interessant. Es lautet nämlich nicht: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst gerettet werden“ (Apostelgeschichte 16,31), sondern es lautet: „Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre4), denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen; und betet den an, der den Himmel und die Erde und das Meer und die Wasserquellen gemacht hat!“ (Offenbarung 14,7) Im Zentrum des „ewigen Evangeliums“ steht die Anbetung eines einzigen Gottes als Schöpfer und Richter.
Könnte es sein, dass Maleachi von solchen Heiden spricht, die ohne spezielle Offenbarung, ausgehend von der in ihren Herzen verankerten Moral,einen einzigen Gott anbeten, der Schöpfer und Richter ist? Ich halte das für die wahrscheinlichste Lösung. Wir können nur in dem Rahmen glauben, der uns bekannt ist. Abraham glaubte nicht an Jesus, weil der Herr Jesus noch nicht geboren war! Und trotzdem ist er der Vater des Glaubens! Nicht der Inhalt meines Glaubens, sondern die Echtheit meines Vertrauens sind entscheidend. Aber Vorsicht: Das gilt natürlich nicht, wenn ich unmoralisch lebe oder mich nicht auf die Suche mache, so viel von Gott zu wissen wie mir möglich ist. Heute ist der Glaube an Jesus das Maß aller Dinge, weil Gott sich offenbart hat und wir in einer Welt leben, in der die Informationen über Jesus allseits abrufbar sind. Dass Hiobs Glaube nur eine vage Vorstellung vom „Erlöser“ (Hiob 19,25) hatte darf uns nicht dazu verleiten, in gleicher Weise eine nebulöse Vorstellung von dem Messias als für das ewige Leben ausreichend anzusehen. Echter Glaube ist immer auch daran interessiert, so viel wie möglich von Gott zu erfahren, um ein Leben zu führen, das Gott alles an Furcht und Ehre gibt, das ihm gebührt.


1)
Also das Gesetz Gottes vom Sinai/Horeb nicht kennen.
2)
Hier ist nicht das Zeremonialgesetz gemeint, sondern das Moralgesetz!
3)
Man könnte hier an Römer 13,8 denken: „denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.“
4)
Also genau die Dinge, die Gott in Maleachi 1,6 anmahnt, weil er sie von den Priestern nicht erhält!