Sprüche 30,8

Sprüche 30,7-9

Zweierlei erbitte ich von dir; verweigere es mir nicht, ehe ich sterbe: * Falschheit1) und Lügenwort halte von mir fern2) , Armut und Reichtum gib mir nicht, gib mir das Brot, das ich brauche3) * damit ich nicht übersättigt werde und dich verleugne und spreche: Wer ist Jahwe? und damit ich nicht verarme und stehle, und mich vergreife an dem Namen meines Gottes.

Auch wenn Agur in Sprüche 30,1 zu Ithniel geredet hat, so spricht er jetzt Gott im Gebet an. Die Formulierung ehe ich sterbe deutet an, dass Agur nicht mehr jung ist, sondern das Sterben schon klar vor Augen hat. Es ist das Gebet eines alten Mannes, der die Gefahren des Lebens kennt und benennt und weiß, dass Gott allein ihn bewahren kann – und zwar vor den Angriffen Dritter genauso wie vor eigenen Sünden.

Wir haben unser Leben nicht in der Hand. Und schon gar nicht, wie andere Menschen über uns denken und reden. Agur wünscht sich ein ruhiges Leben (vgl. 1Timotheus 2,2), das nicht von verleumderischen verbalen Attacken auf seine Person geprägt ist. Er wünscht sich Bewahrung vor dem Bösen (Johannes 17,15), dass andere Menschen die Wahrheit über ihn sagen. Und Agur sieht sehr klar die Gefahren, die mit übermäßigem Reichtum oder auch mit Armut verbunden sind.

Während Reichtum eine Frucht der Weisheit ist (Sprüche 3,16; 8,18; 22,4), ja sogar die Krone der Weisen (Sprüche 14,24), so steckt hinter viel Besitz immer die Gefahr, dass der Reiche seine Hoffnung auf sein Vermögen und nicht mehr auf Gott setzt (1Timotheus 6,17). Das ist der Grund, warum Agur Gott für sein Leben um den Goldenen Mittelweg bittet: weder arm noch reich – genug, aber nicht zu viel. Und diese Bitte ist wahre Weisheit und (wahrscheinlich) gleichzeitig die Haltung, die ein Mensch braucht, dem Gott Wohlstand anvertrauen kann, um damit in Gottes Sinn Gutes in der Gesellschaft zu bewirken.

Agurs Angst besteht darin, dass Armut oder Reichtum seinen Umgang mit Gott beeinflussen könnten. Der Satte steht in der Gefahr, Gott zu vergessen (vgl. 5Mose 8,12-14). Der Verarmte steht in der Gefahr, Gott zu missfallen. Er vergreift sich an dem Namen seines Gottes, indem er Dinge tut, die nicht mehr durch den Charakter seines Gottes gedeckt sind. Der HERR hat Diebstahl verboten (5Mose 5,19). Der verarmte Gläubige, der stiehlt, mag der Verachtung seiner Mitmenschen entgehen, weil sie seine Not4) sehen (Sprüche 6,30), aber trotzdem übertritt er Gottes Gebot und lebt wie einer, der Gott nicht kennt. Er erlaubt sich ein Verhalten, das zu den Maßstäben seines Gottes nicht passt.

Wie beeinflusst Reichtum deinen Umgang mit Gott?

Wenn du an Agurs Stelle, dir zwei Dinge hättest im Gebet erbeten dürfen (was du ja darfst), was wäre dir wichtig gewesen?



1)
Der Begriff שָׁוְא umfasst das Bedeutungsspektrum Nichtigkeit, Nichtigkeit im Reden (= Lüge) und Falschheit. Falschheit und Lügenwort sind m.E. ein Hendiadyoin für Lügen, die mit böser Absicht erzählt werden, also üble Nachrede bzw. Verleumdung, Diffamierung, Denunziation
2)
Andere (bekanntere und besser ausgebildete) Kommentatoren sehen hier eher das Reden Agurs als das Reden über Agur. Dann würde er darum bitten, die Wahrheit zu sagen. Irgendwie leuchtet mir das aber nicht ein. Ich muss Gott nicht explizit darum bitten, dass ich nicht lüge, ich sollte es einfach nicht tun. Ich kann ihn aber darum bitten, dass er mich vor den gemeinen Lügen anderer bewahrt und dass ich meinen Lebensabend verbringen darf, ohne im Zentrum einer medialen Schlammschlacht zu stehen.
3)
Oder: mir zusteht (weil ich es zum Überleben brauche)
4)
Auch wenn es in Israel Almosen, die Nachlese auf den Feldern und die Unterstützung durch Verwandte gab, die genau das verhindern sollte!