Hier haben wir ein Beispiel für erzählerische Freiheit. Lukas steht als Autor vor einem Problem. Seine Zuhörerschaft kennt nur Häuser mit Ziegeldächern. Heute würden wir schreiben: „… und ließen ihn durch das Strohdach hinab“. Fußnote: „In Palästina sind die Dächer aus Holz und Stroh hergestellt und nicht wie in den griechischen und römischen Siedlungen aus Ziegeln“. Aber Fußnoten waren damals noch unbekannt und Lukas hatte nicht beliebig viel Platz zum Schreiben des Textes. Von Josephus Flavius , einem jüdischen Geschichtsschreiber, der die Geschichte seines Volkes für die Römer aufgeschrieben hat, wissen wir, dass er oft versucht, jüdische Begriffe und Ideen in für Römer bekannte Wortbedeutungen und Gedanken zu übersetzen. Die Aufgabe des antiken Historikers bestand also auch darin, sich verständlich auszudrücken und seine Geschichte flüssig und nachvollziehbar zu erzählen. Letztlich ist es für den Fortgang der Geschichte völlig egal, woraus das Dach bestand. Antike Texte sind also stark leserfreundlich geschrieben und passen sich – ohne dass das als eine Verfälschung der Tatsachen wahrgenommen worden wäre – dem Erfahrungshorizont der Empfänger viel stärker an, als moderne Texte das tun. Wir empfinden antike Texte deshalb schnell als im Detail verfälscht, ignorieren dabei aber ihre gute Verständlichkeit.
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